Die Forschung ist frei – oder?
Einflussnahme der Industrie gefährdet die Unabhängigkeit von Gesundheitsstudien
Sind zuckerhaltige Limonaden gesundheitsschädlich? Wie diese Frage bewertet wird, hängt offenbar auch davon ab, wer sie untersucht. Eine spanisch-deutsche Arbeitsgruppe fand heraus, dass Studien, die durch die Nahrungsmittelindustrie unterstützt wurden, in der Mehrzahl keinen Zusammenhang zwischen dem Konsum zuckerhaltiger Getränke und Übergewicht finden. Forschungsgruppen ohne Nähe zur Nahrungsmittelindustrie kommen dagegen fast fünf mal so häufig zu dem Schluss, dass zuckerhaltige Getränke der Gesundheit schaden.
Was wir essen hängt heutzutage nicht mehr allein von unseren geschmacklichen Vorlieben ab. Als mündige Verbraucher wollen wir auch gesund essen und uns „bewusst“ ernähren. So wissen wir z.B., dass zu viel fettiges Essen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Übergewicht verursacht. Viele Menschen achten deshalb darauf, ihren Fettkonsum zu reduzieren. Doch woher kommt dieses Bewusstsein und das Wissen um solche Zusammenhänge? Es beruht auf wissenschaftlichen Untersuchungen, deren Ergebnisse über Ärzte, Gesundheitsorganisationen, die Medien oder die Politik an den Verbraucher weitergegeben werden. Wenn solche Untersuchungen nicht nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt und interpretiert werden, kann das fatale Folgen für die Gesundheit vieler Menschen haben.
Interessenkonflikte bei der Forschung
Dass die Voreingenommenheit oder Abhängigkeit von Forschern ihr wissenschaftliches Urteilsvermögen beeinflussen kann, ist kein Geheimnis. Beispiele gibt es genug. Sei es bei Studien zur Beurteilung des Klimawandels, zu Nebenwirkungen von Medikamenten, zur Gesundheitsgefahr von Zigarettenqualm oder der Wirtschaftlichkeit der Kernkraft. Kürzlich wurde gezeigt, dass auch industriefinanzierte Forscher im Bereich der Nahrungsmittel- und Gesundheitsforschung in einen Konflikt zwischen Firmeninteresse und Datenlage geraten können.
Zucker in der Limo macht dick – oder nicht.
Eine spanisch-deutsche Arbeitsgruppe führte eine Literaturanalyse durch, bei der Artikel zum Thema zuckerhaltige Getränke und Übergewicht untersucht wurden. Bei den untersuchten Publikationen handelte es sich ausschließlich um systematische Übersichtsartikel (sogenannte Reviews). In solchen Artikeln werden möglichst alle verfügbaren und relevanten Informationen zu einem bestimmten Thema gesammelt, zusammengefasst und in einer Schlussfolgerung bewertet.
Die Wissenschaftler durchkämmten die gängigen wissenschaftlichen Literaturdatenbanken nach Reviews, die sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Konsum zuckerhaltiger Getränke und Gewichtszunahme bzw. Übergewicht beschäftigen. Insgesamt wurden 17 Reviews mit 18 Schlussfolgerungen in der Studie berücksichtigt. Sechs dieser Übersichtsartikel waren in Abhängigkeit von der Nahrungsmittelindustrie erstellt worden, d.h. die Autoren gehörten entweder einem entsprechenden Unternehmen an oder die Studie wurde durch die Industrie finanziell unterstützt. Bei den übrigen zwölf Artikeln war dagegen keine Abhängigkeit von der Industrie nachweisbar.
In der nachfolgenden Untersuchung zeigte sich: Von den zwölf unabhängig erstellten Studien kamen zehn zu dem Schluss, dass der Konsum zuckerhaltiger Getränke das Risiko von Übergewicht erhöht, zwei Studien sahen einen derartigen Zusammenhang nicht als erwiesen an. Ganz anders bewerteten die industrienahen Studien den Stand der Forschung. Nur eine Studie sah Limonadenkonsum als potentiellen Risikofaktor für Gewichtzunahme, die übrigen fünf fanden keinen ausreichenden Beweis für eine solche Schlussfolgerung. Anders ausgedrückt heißt das, dass 83 % der unabhängigen Studien aber nur 17% der industrienahen Untersuchungen zu einem für die Zucker- und Getränkeindustrie nachteiligen Fazit kommen.
Wissenschaftler können voreingenommen sein
Letztlich kann die hier beschriebene Literaturanalyse mit ihren Methoden nicht untersuchen, wer die Auswirkungen des Limonadenkonsums korrekt bewertet und wer nicht. In der Wissenschaft ist man sich immer noch nicht ganz einig, ob der Zucker in Getränken dick macht oder nicht. Das Ergebnis der Studie stimmt aber auf jeden Fall nachdenklich, zeigt es doch, dass unabhängige und industrienahe Wissenschaftler die Datenlage zu dem Thema sehr unterschiedlich beurteilen. Die Autoren der Studie geben dafür zwei mögliche Erklärungen. Einerseits kann es sein, dass die von der Industrie unterstützten Forscher befangen waren. Andererseits ist denkbar, dass die unabhängigen Wissenschaftler Vorurteile gegenüber zuckerhaltigen Nahrungsmitteln haben und deren Konsum deshalb in ein schlechtes Licht setzen wollen.
Die jüngsten experimentellen Arbeiten und Reviews zum Thema Limonade und Übergewicht wurden zumindest ohne Beteiligung aus der Wirtschaft erstellt. Sie alle attestieren den zuckerhaltigen Getränken eine schädliche Wirkung auf das Körpergewicht, sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Das legt nahe, dass bei den untersuchten industrieabhängigen Studien durchaus darauf geachtet wurde, die Interessen der Nahrungsmittelindustrie durch die Ergebnisse nicht zu gefährden.
Industriell geförderte Wissenschaft ist wichtig
Mit der Studie wollen die Autoren der Industrieforschung jedoch nicht den Stempel aufdrücken grundsätzlich unseriös zu sein. Die Industrie finanziert in Deutschland zwei Drittel aller Forschungsarbeiten. Viele wissenschaftliche Projekte wären ohne diese Hilfe gar nicht durchführbar oder zu zeitaufwändig. Interessant sind für die Wirtschaft dabei zwei Aspekte. Zum einen (und größeren Teil) geht es dabei natürlich um die Förderung von Forschungsfeldern, die in absehbarer Zeit eine kommerzielle Anwendung der Erkenntnisse versprechen. Zum anderen ist es langfristig gesehen für die Industrie äußerst wichtig, eine lebendige freie Forschungslandschaft zumindest teilweise zu unterstützen, in der Projekte mit langer Laufzeit und ohne konkret formuliertes Ziel möglich sind. Das ist die Quelle, aus der immer wieder unerwartete Möglichkeiten und Innovationen entstehen, die auf lange Sicht gewinnbringend genutzt werden können - eine Investition in die eigene Zukunft also.
Um Interessenskonflikte von vornherein zu vermeiden, schlagen die Autoren vor, klare Richtlinien und vertragliche Verbindlichkeiten zu formulieren, die bei einer industriebeteiligten Arbeit die Unabhängigkeit der Forschung garantiert. Von der Transparenz bei der Fragestellung, dem experimentellen Design und der Interpretation von Daten profitieren letztlich auch die Wirtschaft, denn sie verleiht den Unternehmen und ihren Aussagen Glaubwürdigkeit.
Quelle:
- Bes-Rastrollo, M. et al (2013): Financial Conflicts of Interest and Reporting Bias Regarding the Association between Sugar-Sweetened Beverages and Weight Gain: A Systematic Review of Systematic Reviews. In: PLOS Medicine 10,12, (31. Dezember 2013), doi: 10.1371/journal.pmed.1001578.
- National Nutrient Database for Standard Reference, Release 26. United States Department of Agriculture (USDA).
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Titelbild: Viele Limonaden enthalten eine große Menge Zucker. So enthalten z.B. 100 g Cola im Durchschnitt 10,75 g Zucker (Quelle: USDA).(Bildquelle: © iStockphoto.com/rsi1986)