Die neuen Wilden
Wie Reis domestiziert wurde und wieder verwilderte
Wissenschaftler in den USA erforschen die genetischen Vorgänge hinter der Domestikation und erneuten Verwilderung von Reis.
Reis ist die wichtigste Grundnahrungspflanze in Asien, er ernährt rund die Hälfte der Weltbevölkerung. Aufgrund seiner Bedeutung war er eine der ersten Pflanzen, deren Genom vollständig entschlüsselt wurde. Das Besondere am Reis: Er wurde in seiner Geschichte zweimal unabhängig voneinander kultiviert. Einmal in Asien (Oryza sativa) vor etwa 10.000 Jahren und einmal in Afrika (O. glaberrima) vor etwa 3.500 Jahren. Es kam aber auch zu einer Rückentwicklung: Zwei in Asien verwilderte Reissorten stammen ursprünglich vom kultivierten Reis ab. Wissenschaftler erforschen nun die genetischen Vorgänge der Kultivierung und De-Kultivierung, um nachzuvollziehen, wie Domestikation und erneute Verwilderung auf genetischer Ebene abgelaufen sind.
„Kuckucksreis“
Verwilderter Reis sorgt beim Anbau für Probleme: Er ist ungenießbar und gelangt vermutlich über kontaminiertes Saatgut in die Felder, wo er sich ungehindert ausbreiten kann. Er macht dem angebauten Reis auf dem Feld ernsthafte Konkurrenz, da er offenbar nicht nur auf die Gene seiner wilden Vorfahren, sondern auch auf die der kultivierten Sorten zurück greifen kann. Da das verwilderte Saatgut optisch nur schwer vom Saatgut kultivierter Sorten unterscheidbar ist, fällt es schwer, ihn rechtzeitig zu erkennen. Früher entdeckten die Farmer den „Kuckucksreis“ im Feld und entfernten ihn von Hand. Da heute aber nahezu alles maschinell abläuft, entfällt dieser Kontrollmechanismus zunehmend und die Bauern bemerken den falschen Reis erst, wenn er sich auf dem Feld breit gemacht hat. Ernteeinbußen bis zu 80 Prozent können die Folge sein, komplett befallene Felder müssen oftmals aufgegeben werden.
Angezüchtete Merkmale wieder entfernt
Die asiatischen und afrikanischen Kulturformen erhielten durch Züchtung neue Merkmale, zum Beispiel die Fähigkeit, die reifen Körner an der Ähre zu halten und nicht zu verstreuen. Die verwilderten Reissorten schafften es bei ihrer Rückentwicklung, diese Fähigkeit außer Kraft zu setzen. Sie können ihre Körner wieder ausstreuen, was für ihren Fortbestand wichtig ist. Sie haben somit ein angezüchtetes Merkmal aufgehoben. Auch die Farbe der Reiskörner änderte sich: Es gibt sowohl verwilderten Reis mit hellen Körnern, die dem kultivierten Reis sehr ähnlich sehen als auch Sorten mit dunklen Körnern, die dem ursprünglichen Wildreis ähneln. Das für die Reisfarbe verantwortliche Gen hat die Bezeichnung BH4 (Black Hull 4). Die Forscher fanden heraus, dass voneinander unabhängig auftretende Mutationen in BH4 zur Funktionslosigkeit des Gens (Loss of function-Mutation) und somit zur hellen Farbe im kultivierten afrikanischen und asiatischen Reis geführt haben. Die dunkelfarbige Wildsorte scheint sich bereits von den kultivierten Verwandten getrennt zu haben, bevor hier die züchterische Selektion auf die helle Farbe ganz abgeschlossen war und jetzt auf ein älteres BH4-Allel zurückzugreifen, das die dunkle Farbe codiert.
Nutznießer der kultivierten und wilden Vorfahren
Die Forscher vermuten, dass die beiden Wildsorten mit ihren Kornfarben unterschiedliche Anpassungsstrategien verfolgen. Während die Sorte mit den hellen Hüllen sich verbreitet, indem sie die Optik der kultivierten Sorten imitiert, scheint die andere Sorte die Strategie des ursprünglichen Wildreises zu nutzen: Zum Beispiel können Vögel die dunklen Reiskörner vor dem schlammigen Untergrund schlechter erkennen als helle. Die beiden Wildreissorten nutzen also sowohl Merkmale der kultivierten als auch der ursprünglichen Vorfahren zu ihrem Vorteil.
Natürliche Selektion auf Herbizidresistenz?
Der eingewanderte Wildreis wird in den USA mit starkem Herbizideinsatz bekämpft. Dabei besteht die Gefahr, dass der Wildreis diese Resistenz auf genetischem Weg erwirbt. Der genetische Umbau, der zur Herbizidresistenz führt, ist relativ simpel. Er besteht aus einer Punktmutation, also einem einzigen Aminosäuren-Tausch in dem betreffenden Gen. Eine zufällige Mutation könnte die Wildreissorten also schnell resistent machen. Resistente Sorten könnten sich auch aus herbizidresistenten Kultursorten entwickeln, besonders wenn sich der Selektionsdruck durch die Bekämpfung mit Herbiziden erhöht. Das Verständnis der genetischen Abläufe, die hinter diesen evolutiven Vorgängen stehen, ist von großer Bedeutung, um Landwirtschaft nachhaltig zu gestalten. Aber auch wertvolle Gene aus den wilden Verwandten lassen sich mit diesem Wissen gezielt für domestizierte Sorten nutzen, um diese weiter zu entwickeln.
Quelle:
Vigueira, C.C., et al. (2013): The Role of BH4 in parallel evolution of hull color in domesticated and weedy rice. In: Journal of Evolutionary Biology, (17. July 2013), DOI: 10.1111/jeb.12171.
Zum Weiterlesen:
- Ursprung des kultivierten Reis`: Variationen im Reisgenom schaffen Klarheit
- Wie wir den Reis gleich zweimal zähmten
- Weltnahrungspflanze Reis
- Steckbrief: Reis (Oryza sativa)
Titelbild: Reisfeld: Bis zu 80 Prozent Ernteausfall durch verwilderte Reissorten. (Quelle: © Fyle / Fotolia.com)