Ein neuer Freund

Ein Schädling wird zum willkommenen Bestäuber

04.11.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Diese Wanzen sind nun keine Schädlinge mehr, sondern für eine Aronstabpflanze wertvolle Bestäuber. (Bildquelle: © Etl, F. et al., 2022*, CC BY 4.0)

Diese Wanzen sind nun keine Schädlinge mehr, sondern für eine Aronstabpflanze wertvolle Bestäuber. (Bildquelle: © Etl, F. et al., 2022*, CC BY 4.0)

Ein tropisches Aronstabgewächs hat den Spieß umgedreht: Es hat sich an die Bedürfnisse einer pflanzensaugenden Wanzenart angepasst und lässt den Schädling nun „für sich arbeiten“.

Ein Pflanzenschädling kann auch nützlich sein. Das haben Forscher:innen unter Beteiligung der Universität Regensburg in einer neuen Studie nachgewiesen. Das tropische Aronstabgewächs Syngonium hastiferum hat sein Bestäubungssystem umgestellt, um eine  Weichwanzenart anzulocken – zu beiderseitigem Vorteil.

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Phase 1 der Blüte: Die weiblichen Blüten im unteren Bereich des Kolbens öffnen sich, sind aber von einer Blatthülle umhüllt. Der Duft des Kolbens lockt die Wanzen an.

Phase 1 der Blüte: Die weiblichen Blüten im unteren Bereich des Kolbens öffnen sich, sind aber von einer Blatthülle umhüllt. Der Duft des Kolbens lockt die Wanzen an.

Bildquelle: © Etl, F. et al., 2022*, CC BY 4.0

Komplizierte Bestäubung

Der Blütenstand von Syngonium hastiferum besteht aus einem schmalen Kolben (Spadix), an dem oben männliche und unten weibliche Blüten sitzen. Der Kolben ist umgeben von einer Blatthülle, der Spatha. Zu Beginn der dreitägigen Blühzeit öffnen sich zunächst die weiblichen Blüten für etwa zwei Tage. Die Spatha gibt dabei den oberen Teil des Kolbens mit den noch nicht blühenden männlichen Blüten preis, der untere Teil des Kolbens bleibt umhüllt: eine Bestäubungskammer, die die weiblichen Blüten enthält. Morgens zwischen sieben und neun Uhr heizt sich der obere Teil des Kolbens durch Thermogenese auf und gibt einen mehr oder weniger angenehmen Blütenduft ab.

Die Forscher:innen konnten beobachten, dass der Duft bestimmte Weichwanzen in großer Anzahl anlockt. Diese Art war der Wissenschaft bis dato unbekannt und bekam den Namen Neella sp. nov. Andere Vertreter der Weichwanzen (Miridae) waren bisher nur als Schädlinge tropischer Aronstabgewächse bekannt. Die Forscher:innen zählten bis zu 515 Individuen auf den beobachteten Blütenständen. Die Wanzen krabbelten in die Bestäubungskammer und bestäubten die weiblichen Blüten mit an ihrem Körper anhaftenden Pollen – den brachten sie von einem vorangegangenen Besuch einer anderen Aronstabpflanze mit. 

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Phase 2: Die Wanzen krabbeln in die Bestäubungskammer. Hier finden sie Nahrung und Schutz. „Nebenbei“ bestäuben die Tiere mit anhaftenden Pollen die weiblichen Blüten.

Phase 2: Die Wanzen krabbeln in die Bestäubungskammer. Hier finden sie Nahrung und Schutz. „Nebenbei“ bestäuben die Tiere mit anhaftenden Pollen die weiblichen Blüten.

Bildquelle: © Etl, F. et al., 2022*, CC BY 4.0

Die Wanzen blieben bis zum Morgen des dritten Tages in der Bestäubungskammer: Hier finden die Tiere Schutz, können sich vom Saft der Pflanze ernähren und sich schließlich auch noch in Ruhe fortpflanzen. Am dritten Morgen welkte die Spatha im oberen Bereich ab. Gleichzeitig heizte sich der Kolben oben erneut auf und lockte die Wanzen zu den jetzt blühenden männlichen Blüten. Bei deren Besuch werden die Tiere erneut mit Pollen eingepudert.

Ganz nach Wunsch

Im Großen und Ganzen folgt die Bestäubung von Syngonium hastiferum dem Muster anderer tropischer Aronstabgewächse. Allerdings konnten die Forscher:innen einige Unterschiede feststellen: Die meisten Aronstabgewächse locken abends mit Wärme und Geruch nachtaktive Käfer als Bestäuber an.
Viele Arten bieten ihnen zusätzlich im Übergang zwischen männlichem und weiblichem Kolben-Abschnitt große sterile männliche Blüten als Futter an. Syngonium hat sein Bestäubungssystem hingegen speziell auf eine tagaktive Wanzenart abgestimmt, die als Pflanzensaft saugendes Insekt eigentlich ein Fressfeind ist. So heizt sich der Kolben morgens auf, wenn diese Wanzenart aktiv ist.

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Phase 3: Nun öffnen sich die männlichen Blüten im oberen Bereich des Kolbens. Erneut lockt sie ein spezieller Duft an. Hier werden die Insekten mit Pollen bepudert, den sie zur nächsten Aronstabpflanze mitnehmen.

Phase 3: Nun öffnen sich die männlichen Blüten im oberen Bereich des Kolbens. Erneut lockt sie ein spezieller Duft an. Hier werden die Insekten mit Pollen bepudert, den sie zur nächsten Aronstabpflanze mitnehmen.

Bildquelle: © Etl, F. et al., 2022*, CC BY 4.0

Auch der Duft der Pflanze ist auf die Vorlieben dieser Art speziell abgestimmt: Die Forscher:innen konnten über Kernspinresonanzspektroskopie eine bis dahin unbekannte Substanz, das (Z)-3-Isopropylpent-3-en-1-ol (Gambanol) aus dem Duft isolieren, die auf die Wanzen anscheinend nahezu unwiderstehlich wirkt. Das zeigten Versuche mit der synthetisch hergestellten Substanz, die ebenso viele Wanzen anzog wie der natürliche Pflanzenduft.

Außerdem stellten die Forscher:innen fest, dass sich auch die Struktur der Pollen verändert hatte: Pollen der Aronstäbe sind normalerweise klebrig, damit sie an den glatten Panzern der bestäubenden Käfer besser hängen bleiben. Tests mit Neella auf männlichen Blüten von Dieffenbachia aurantiaca zeigten, dass die klebrigen Pollen nicht an den Wanzenkörpern dieser Art haften blieben, wohl aber die stacheligen Pollen von Syngonium.

Die Forscher:innen vermuten, dass solche Anpassungsprozesse bei der Entwicklung der Blütenpflanzen in der Kreidezeit eine entscheidende Rolle gespielt haben dürfte: Insekten, die zunächst als Schädlinge die Pflanzen besuchten, wurden durch spezielle Anpassungen der Blüten plötzlich zu Bestäubern. Bisher gab es kaum Nachweise für diese Art der Koevolution. Inwieweit sich diese sogenannte „antagonist capture“ auch auf andere Pflanzenarten erstreckt, sollen weitere Forschungen zeigen.


Quelle:
* Etl, F. et al. (2022): Evidence for the recruitment of florivorous plant bugs as pollinators. In: Current Biology (04.Oktober 2022) doi:10.1016/j.cub.2022.09.013

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Titelbild: Diese Wanzen sind nun keine Schädlinge mehr, sondern für eine Aronstabpflanze wertvolle Bestäuber. (Bildquelle: © Etl, F. et al., 2022*)