Diversität erfassen und praktisch nutzen

Das Projekt „SHAPE“ erforscht das Pangenom der Gerste

10.10.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Anbauversuch mit unterschiedlichen Genotypen im Projekt SHAPE. (Bildquelle: © Christoph Martin/IPK)

Anbauversuch mit unterschiedlichen Genotypen im Projekt SHAPE. (Bildquelle: © Christoph Martin/IPK)

Im BMBF-Forschungsprojekt SHAPE wird die globale genetische Vielfalt der Gerste erstmals systematisch auf Basis vollständiger Genomsequenzen erfasst, um sie für die Züchtung nutzbar zu machen. Ziel ist, durch den Vergleich vieler Gersten-Genome ein sogenanntes „Pangenom“ zu erstellen, das genetische Unterschiede von modernen Sorten, historischen Landrassen und Wildgerste sichtbar macht. Dabei profitiert das Konsortium vom technologischen Fortschritt: Sequenzierungen sind heute deutlich schneller und kostengünstiger.

Das Genom der Gerste (Hordeum vulgare) wurde 2017 entschlüsselt (Mascher, et al., 2017). Damals dauerte das Vorhaben noch über 10 Jahre. Mit verbesserten Sequenzierungs- und bioinformatischen Technologien konnten im Laufe der Zeit eine große Zahl von Referenzsequenzen für viele Kulturarten erstellt werden. Selbst für die größten und komplexesten Pflanzengenome wie das der Gerste kann nun problemlos aus den abertausenden von gelesenen Sequenzabschnitten (Reads) das gesamte Genom abgeleitet werden (Assemblierung). Auch die Geschwindigkeit der Datenverarbeitung für diese Analysen stieg rasant an – und das nur noch für einen Bruchteil der ursprünglichen Kosten.

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Video: Fit for Future - die Gerste und der Klimawandel

Videoquelle: © Pflanzenforschung.de

Die Idee des Pangenoms

Pro Pflanzenspezies liegt bislang oft nur eine Referenzsequenz vor. Doch die Genome auch innerhalb einer Art können sich teils erheblich voneinander unterschieden. Um der genetischen Vielfalt auf die Spur zu kommen, müssen andere Wege gegangen werden. Hier kommt das „Pangenom“ ins Spiel. Dabei handelt es sich um eine „umfassende Genomsequenz“, die alle genetischen Variationen innerhalb einer Art so genau wie möglich erfasst.

Dabei werden zunächst möglichst viele Genome einer Art sequenziert und im Detail verglichen. Viele Genombereiche und die darin enthaltenen Gene sind bei allen Individuen einer Art mehr oder weniger identisch: das ist das sogenannte „Core-Genom“. Hierbei handelt es sich um die genetische „Grundausstattung“ einer Art, z. B. Gene für den Grundstoffwechsel. Dann aber gibt es Gene, die ganz spezifisch für eine bestimmte Pflanzenpopulation innerhalb einer Art sind: das „variable Genom“. Es umfasst beispielsweise Gene, mit denen sich Pflanzen an spezifische Umweltbedingungen wie Klima oder Nährstoffverfügbarkeit angepasst haben – oder an das Vorkommen bestimmter Krankheitserreger und Schädlinge in ihrem ursprünglichen Herkunftsgebiet.

Das Projekt „SHAPE“ hat sich zur Aufgabe gemacht, das Pangenom der Gerste erstmals systematisch zu erfassen. Ausgangspunkt für dieses Vorhaben ist die umfassende Gerstensammlung der Bundeszentralen Ex-situ-Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben.

Das Forschungsprojekt SHAPE wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“ gefördert. Die erste Projektphase lief von 2016 bis 2019. Derzeit befindet sich das Projekt in der zweiten Förder-Phase, die noch bis Januar 2023 läuft. Eine anschließende dritte Phase ist geplant.

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Hier wird die Vielfalt der Gerste sichtbar.

Hier wird die Vielfalt der Gerste sichtbar.

Bildquelle: © Nils Stein/IPK

Die Projektpartner und das übergeordnete Ziel

Wissenschaftliche Partner:

  • Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK): Prof. Dr. Nils Stein (Projektkoordinator), Dr. Martin Mascher, Dr. Uwe Scholz, Prof. Dr. Jochen C. Reif
  • Helmholtz Zentrum München: Dr. Klaus F. X. Mayer, Dr. Manuel Spannagl
  • Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie: Dr. Stephan Greiner (Phase II)

Industriepartner:

Die Erstellung des Gerste-Pangenoms ist nicht nur für die Erforschung der biologischen Hintergründe – also als Grundlagenforschung – bedeutend. Die neue Datengrundlage kann vor allem auch gezielt für die praktische Gerstenzüchtung genutzt werden. Ziel sind widerstandsfähigere Sorten, die mit widrigen klimatischen und anderen Umweltbedingungen besser zurechtkommen oder sich wirksamer gegen Schädlinge und Krankheitserreger behaupten können.

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Das Genom der Gerste besteht aus ungefähr fünf Milliarden Basenpaaren.

Das Genom der Gerste besteht aus ungefähr fünf Milliarden Basenpaaren.

Bildquelle: © Nils Stein/IPK

Das Konsortium möchte die Genbank des IPK mit mehr als 20 000 Gerstenmustern von Gerste als genetisches Reservoir nutzen, um im Pangenom dieser Pflanzenart nach solchen nützlichen Eigenschaften zu suchen. Finden die Forscher entsprechende Eigenschaften, könnten sie später mithilfe molekularer Marker im Züchtungsprozess gezielt in moderne Sorten eingekreuzt werden.

Das Vorgehen

Genbank enthält Teilpopulationen

Projektkoordinator Professor Nils Stein, Leiter der Arbeitsgruppe Genomik genetischer Ressourcen am IPK, beschreibt die Hintergründe: „Mit unseren Gerstenmustern aus allen Teilen der Welt bietet die Genbank in Gatersleben die geeigneten Voraussetzungen für ein Pangenom-Projekt. Bereits im Vorfeld wurden die Muster der Sammlung ansequenziert und so deren Genotypen ermittelt. Dabei wurde klar, dass die weltweite Gerstenpopulation in Teilpopulationen strukturiert ist. Daher war der naheliegende Weg, mit der Sequenzierung einzelner Vertreter dieser Teilpopulationen zu beginnen.“

Doch zu Projektbeginn war die vollständige Sequenzierung noch ein teures und langwierigeres Unterfangen. Zu Beginn der ersten Projektphase war das Ziel zunächst noch recht bescheiden: Drei Gerstengenome sollten genauer unter die Lupe genommen werden. Durch die rasanten Technologieentwicklungen konnte das Projektteam am IPK, zusammen mit ihren Partnern des International Barley Pangenome Consortium, nun aber bereits 20 Genome vollständig sequenzieren und assemblieren. Die IPK-Arbeitsgruppe Bioinformatik und Informationstechnologie um Uwe Scholz ist dabei für die Datenbank verantwortlich, mit der die Genomsequenzen verwaltet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Das Team um Professor Klaus Mayer vom Helmholtz Zentrum München hat die Aufgabe, die Genomsequenzen zu annotieren. Dabei werden die codierenden Sequenzen mit bioinformatischen Methoden identifiziert und die Positionen der Gene bestimmt.

Vergleich der Genome spiegelt Varianz wieder

Aus den in SHAPE gewonnenen Daten konnte nun das Core-Genom vom variablen Genom unterschieden werden. Aber noch weitere Entdeckungen gab es beim Vergleich der Genomsequenzen: „Wir haben erstmals für Gerste gesehen, dass es erhebliche strukturelle Variationen gibt“, sagt Stein. Konkret bedeutet das: die einzelnen Genome unterscheiden sich teils erheblich – in der Zahl der Gene sowie in der Anordnung und Orientierung einzelner Chromosomenabschnitte.

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Steckbrief: „SHAPE“


	Versuchspflanze: Gerste
	Förderprogramm: „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“, BMBF
	Laufzeit: Phase 1: 2016 - 2019; Phase 2: 2020 - 2023
	Projektpartner: IPK, Helmholtz Zentrum München, KWS, zusätzlich in Phase II: MPI MP, Syngenta, Secobra, Saatzucht Bauer, NORDSAAT, Nordic Seed
	Eintrag in unserer Projektdatenbank: SHAPE I , SHAPE II

Steckbrief: „SHAPE“

  • Versuchspflanze: Gerste
  • Förderprogramm: „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“, BMBF
  • Laufzeit: Phase 1: 2016 - 2019; Phase 2: 2020 - 2023
  • Projektpartner: IPK, Helmholtz Zentrum München, KWS, zusätzlich in Phase II: MPI MP, Syngenta, Secobra, Saatzucht Bauer, NORDSAAT, Nordic Seed
  • Eintrag in unserer Projektdatenbank: SHAPE I , SHAPE II

„Was uns zum Beispiel überrascht hat, war, dass wir in einer sehr erfolgreichen kommerziellen Sorte eine Inversion von über 100 Megabasen Länge gefunden haben. Das war ein substantieller Teil, der auch viele Gene trägt“, erklärt Stein. Das hat unmittelbar Bedeutung für die Züchtung: Denn wenn ein Züchter diesen Genotyp mit einem Genotyp ohne Inversion kreuzt, kann in diesem Bereich keine Rekombination stattfinden. Sprich: Dem Züchter kann es nicht gelingen, günstige Eigenschaften in diesem Abschnitt neu zu kombinieren.

Und Stein ergänzt noch einen weiteren Punkt: „Die Ergebnisse aus der ersten Projektphase haben uns gezeigt, dass wir mit 20 Genotypen immer noch nicht annähernd die Vielfalt des Gerstengenoms abbilden können.“

Level up: Neue Sequenziertechnik und Integration von Wildgerste

In der zweiten Projektphase werden daher noch einmal 50 Saatgutmuster mit einer neuen Sequenziertechnologie (Whole Genome Shotgun Sequenzierungsmethode) vollständig sequenziert. Sie wurden so ausgewählt, dass sie die Vielfalt der Gerste gut repräsentieren sollten, sich also die Genotypen größtmöglich unterscheiden. Zusätzlich werden noch 25 Wildgersten analysiert. Denn im Erbgut der Wildgerste könnten auch noch wertvolle Merkmale schlummern, die bislang noch nicht den Weg in Kulturgersten gefunden haben.

Darüber hinaus wurden 400 kommerzielle Sorten und über 1.000 weitere Genotypen der Genbank ansequenziert. Ziel ist es, die genetischen Daten mit phänotypischen Eigenschaften in Verbindung zu bringen. Und hier kommen die Züchter im Projekt zum Zuge.

Anbauversuche auf dem Feld mit Fokus auf Pathogenresistenz

In der zweiten Projektphase bauen die am Projekt beteiligten Züchtungsunternehmen die oben erwähnten rund 1.000 Genotypen in mehrjährigen Versuchen an und erfassen ihre Merkmale (Phänotypisierung). Im Fokus stehen dabei vor allem Resistenzeigenschaften, also die Widerstandsfähigkeit gegen Pathogene wie Mehltau oder Rostpilze. Diese Eigenschaften werden immer relevanter für die Züchtung. Klimatische Veränderungen verstärken den Krankheitsdruck und die Entwicklung von Erregersubtypen.

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Die Merkmale der Gerste (Phänotyp) werden im Projekt SHAPE mit der genetischen Ausstattung (Genotyp) zusammengeführt, um genomische Vorhersagen zu einzelnen Merkmalen treffen zu können.

Die Merkmale der Gerste (Phänotyp) werden im Projekt SHAPE mit der genetischen Ausstattung (Genotyp) zusammengeführt, um genomische Vorhersagen zu einzelnen Merkmalen treffen zu können.

Bildquelle: © Nils Stein/IPK

Die phänotypischen Informationen der Züchter und die Genomdaten werden dann vom Team der Arbeitsgruppe Quantitative Genetik in der Abteilung Züchtungsforschung um Professor Jochen Reif vom IPK gesammelt. Sie wollen damit genomweite Assoziationsstudien durchführen, um genomische Vorhersagen zu einzelnen Resistenzmerkmalen machen zu können.

Pangenom für die Züchtung nutzbar machen

Für die geplante dritte Phase des Projektes will sich das Konsortium auf eine kleine Anzahl an Sorten konzentrieren, die eine Schlüsselrolle oder -position in der mitteleuropäischen Gerstenzüchtung einnehmen oder eingenommen haben. Diese werden vollständig sequenziert und zu einem „züchtungsnahen“ Pangenom integriert, um so eine hochaufgelöste Datengrundlage („Brücken-Pangenom“) für die Verknüpfung von globaler Gerstendiversität und der genetischen Vielfalt in heutigem Zuchtmaterial zu schaffen. Auf dieser Datengrundlage werden zukünftig züchterische Entscheidungen auf Basis des Gerste-Pangenoms getroffen werden können und die global verfügbare Vielfalt gezielter eingesetzt werden können.

Noch mehr genetische Vielfalt in den Zellen?

Neben dem Zellkern besitzen auch Mitochondrien und Chloroplasten ein Genom. Daher werden auch die genetischen Unterschiede der Zellorganellen in den Saatgutmustern bestimmt. Die Aufgabe übernimmt das Team des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie.

Auf Basis der erfassten Sequenzunterschiede im Gerste-Chloroplastengenom wurden in der zweiten Phase Kreuzungsexperimente mit den Züchtungsunternehmen durchgeführt, bei denen das Chloroplastengenom ausgetauscht wurde. Dabei soll geklärt werden, ob der Austausch der Zellorganell-Genome einen Effekt auf die Pflanzen – z. B. auf deren Ertrag – hat, wenn gleichzeitig das Kerngenom identisch bleibt. In der geplanten dritten Projektphase wird dieses Pflanzenmaterial in Freilandversuchen überprüft werden.


Publikationen aus dem Projekt:

  • Kamal, N et al. (2022): The Barley and Wheat Pan-Genomes. In: Edwards, D. (eds) Plant Bioinformatics. Methods in Molecular Biology, vol 2443. Humana, New York, NY., (16. Januar 2022), doi: 10.1007/978-1-0716-2067-0_7.
  • Navrátilová, P. et al. (2022): Prospects of telomere-to-telomere assembly in barley: Analysis of sequence gaps in the MorexV3 reference genome. In: Plant Biotechnology Journal, (25. März 2022), doi: 10.1111/pbi.13816.
  • Sakkour, A. et al. (2022): Chromosome-scale assembly of barley cv. ‘Haruna Nijo’ as a resource for barley genetics. In: DNA Research, (12. Januar 2022), doi: 10.1093/dnares/dsac001.
  • Jayakodi, M. et al. (2021): Building pan-genome infrastructures for crop plants and their use in association genetics. In: DNA Research, (22. Januar 2021), doi: 10.1093/dnares/dsaa030.
  • Mascher, M. et al. (2021): Long-read sequence assembly: a technical evaluation in barley. In: The Plant Cell, (12. März 2021), doi: 10.1093/plcell/koab077.
  • Sato, K. et al. (2021): Chromosome-scale assembly of wild barley accession “OUH602”. In: G3 Genes|Genomes|Genetics, (13. Juli 2021), doi: 10.1093/g3journal/jkab244.
  • Jayakodi, M. et al. (2020): The barley pan-genome reveals the hidden legacy of mutation breeding. In: Nature, (25. November 2020), doi: 10.1038/s41586-020-2947-8.
  • Monat, C. et al. (2019): Prospects of pan-genomics in barley. In: Theoretical and Applied Genetics, (1. März 2019), doi: 10.1007/s00122-018-3234-z.

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Titelbild: Anbauversuch mit unterschiedlichen Genotypen im Projekt SHAPE. (Bildquelle: © Christoph Martin/IPK)