Hoffnung für Zöliakie-Patienten: Gluten ist abschaltbar
Forscher haben Gluten-armen Weizen gezüchtet. Durch das gezielte Abschalten homologer Gene konnten sie den Gehalt verschiedener Glutenproteine um bis zu 85% senken. Sollte sich die Methode bewähren, können Zöliakie-Patienten vielleicht bald ohne Reue Backwaren genießen.
Weizen, Gerste, Roggen und Co. gehören zu einer ausgewogenen Ernährung. Getreide liefert Kohlenhydrate, Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe für die Verdauung. 20% der weltweit konsumierten Nahrungsmittel-Kalorien nehmen wir allein mit Weizenprodukten auf. Doch 400.000 Menschen in Deutschland (weltweit sind es 24.4 Millionen) macht das Getreide krank. Sie leiden an Zöliakie - einer genetisch bedingten, allergie-ähnlichen Autoimmunreaktion auf das in vielen Getreidearten enthaltene Kleber-Eiweiß, bekannt als Gluten. Ihnen reichen schon Brotkrümel und der Bauch krampft. Es folgen Übelkeit, Blähungen und Durchfall sowie häufig eine chronische Entzündung der winzigen Schleimhautfalten im Dünndarm. Diese Zotten filtern die Nährstoffe aus der Nahrung und geben sie an das Blut weiter. Sind sie entzündet, sterben sie schneller ab als normal. Die Folge: Der Körper wird auf Dauer unterversorgt. Die einzige wirksame Behandlung ist bislang eine lebenslange glutenfreie Diät.
Ansatz für eine natürliche Diät
Gluten ist eine komplexe Protein-Mischung: Eine einzelne Brotweizenart enthält bis zu 70 verschiedene Gliadine und Glutenine mit geringem und hohem Molekulargewicht. 80% dieser Glutenproteine sind im Endosperm gespeichert. Einige der Gliadine und Leichten Glutenine sind immunreaktiv, d.h. sie lösen bei genetisch vorbelasteten Personen eine Immunreaktion aus. Dahingegen sind Schwere Glutenine weniger immunreaktiv. Sie sind jedoch interessant, weil sie für die positiven Backeigenschaften von Getreide verantwortlich sind. Wissenschaftlern ist es nun gelungen, den Gehalt der immunreaktiven Speicherproteine in Weizen gezielt zu verringern. Ihr epigenetischer Ansatz könnte es Zöliakie-Patienten bald ermöglichen, sich glutenfrei zu ernähren ohne auf die positiven Backeigenschaften des Kleber-Eiweiß zu verzichten.
Auf der Suche nach einem Schalter
Frühere Studien haben gezeigt, dass die Anreicherung von Gliadinen und Leichten Gluteninen in Gerste mit der aktiven Demethylierung bestimmter Promotorgene im Endosperm zusammenhängt. Verantwortlich für diese epigenetische Veränderung ist das Gen DEMETER (DME), das für das Enzym 5-Methylcytosin DNA-Glycosylase kodiert. Schwere Glutenine werden dagegen anders reguliert, wie Sequenzanalysen zeigen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die immunreaktiven Proteine möglicherweise unabhängig von den nützlichen Speicherproteinen reduziert werden können.
Von Gerste zu Weizen
Zunächst identifizierten die Forscher in einer Transkriptionsanalyse die Gensequenzen in Weizen, die eine ähnliche Funktion wie die GME-Gene in Gerste haben. Sie charakterisierten homologe, also strukturähnliche Sequenzen, bildeten deren Aktivität in einem Transkriptionsprofil ab und untersuchten, wie stark diese Gene methyliert, also durch die Anlagerung von Methylgruppen in ihrer Aktivität modifiziert waren. Ihr Ziel war es, so den Signalweg der aktiven Demethylierung in Weizen zu entschlüsseln. Denn dieses Verständnis wäre nötig, um immunreaktive Speicherproteine durch epigenetische Veränderungen zu eliminieren.
Es bestätigte sich, dass das Enzym 5-Methylcytosin-DNA-Glycosylase in Weizen durch die aktive Demethylierung bestimmter Promotorgene im Endosperm die Produktion von Gliadinen und Leichten Gluteninen förderte. Das Abschalten dieses Enzyms sollte damit eine Reduktion der Glutenproteine zur Folge haben. Ein Vergleich mit den relevanten Gensequenzen anderer Spezies ergab, dass die DME-Gene innerhalb und über die Pflanzenwelt hinaus funktional stark konserviert sind.
Gluten über einen Umweg abgeschaltet
Die Forscher züchteten nun 20 transgene Pflanzenlinien mit je spezifischem Transkriptionsprofil, in denen die Transkription der homologen DME-Gene mittels RNA-Interferenz heruntergeregelt wurde. Dies führte in den Pflanzen dazu, dass die Produktion einzelner Gliadine und Leichter Glutenine im Weizenendosperm blockiert blieb. Das Ergebnis: Die transgenen Pflanzen produzierten fast 80% weniger Gliadine und Leichte Glutenine. In einigen Pflanzen konnten besonders immunreaktive Glutenproteine überhaupt nicht nachgewiesen werden. Der Gehalt der Schweren Glutenine, die dafür sorgen, dass Brot und Kuchen aufgehen und saftig werden, blieb dagegen konstant oder stieg sogar leicht an. Je nach Ausmaß dieses Gen Silencing der homologen DME-Gene reicherten die Pflanzen nicht nur unterschiedlich viel Gluten im Weizenkorn an, sondern auch verschiedene Speicherproteine.
Von der Pflanze zum Lebensmittel
Die Ergebnisse zeigen, dass die Regulation der verschiedenen Glutenproteine im Weizenkorn komplex ist. Vermutlich werden unterschiedliche Speicherproteine von verschiedenen DME-Homologen reguliert. Die Methode bietet jedoch einen vielversprechenden Ansatz, um mittels Gen Silencing, also dem gezielten Abschalten einzelner Gene, Weizensorten zu züchten, die für betroffene Menschen keine gesundheitlich bedenklichen Gliadine und Glutenine enthalten.
Wichtig sei es nun, so die Forscher, Pflanzen zu identifizieren, bei denen die homologen DME-Gene vollständig abgeschaltet sind (Knockout oder KO-Mutanten). Denn nur diese Pflanzen eigneten sich für Zöliakie-Patienten. Um ertragreiche und sichere Sorten zu erhalten, würden aus diesen reinerbige, also doppelhaploide Pflanzenlinien gezüchtet werden. Diese verfügen über einen kompletten Chromosomensatz und entsprechen den gebräuchlichen Weizensorten.
Bevor die Pflanzen für die Lebensmittelproduktion zugelassen werden können, müssen sie jedoch auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit getestet werden: Nach sogenannten T-Zellen-Tests auf Immuntoxizität, müssten Fütterungsversuche mit Modelorganismen, z.B. mit transgenen Mäusen, glutensensitiven Affen und dann auch mit Zöliakie-Patienten durchgeführt werden. Nach einer erfolgreichen Testung könnten die Sorten dann mit einer entsprechenden Kennzeichnung „zur speziellen Ernährung bei Zöliakie“ auf den Markt kommen. Mit anderen Worten: Die Forscher haben große Fortschritte auf dem Weg zu diätisch optimierten Lebensmitteln erzielt. Bis zum glutenfreien Weizenbrötchen für Menschen mit Zöliakie bleibt es jedoch noch ein weiter Weg.
Quelle:
Wen, S. et al. (2012): Structural genes of wheat and barley 5-methylcytosine DNA glycosylases and their potential applications for human health. In: PNAS, (26. November 2012), doi: 10.1073/pnas.1217927109.
Zum Weiterlesen: