Rückbesinnung auf die hohe Kunst des Pflanzenbaus

08.10.2010 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Mit moderner Technik zum

Mit moderner Technik zum "individualisierten" Anbau (Quelle: © iStockphoto.com/ Reuben Schulz)

Obwohl die Bedingungen innerhalb eines Feldes oft beträchtlich variieren, bearbeiten die meisten Landwirte es einheitlich. Der Präzisionsackerbau bietet dank moderner Technik eine effizientere Alternative.

Eine erfolgreiche Landwirtschaft benötigt vor allem zwei Dinge: leistungsfähige Sorten und intelligente Anbaumethoden. Während die Ertragszuwächse in der Pflanzenzucht aufgrund früherer Erfolge in den letzten Jahren oft nur noch gering ausfallen, setzt der Ackerbau zu einem Sprung an. Eine Kombination aus Sensoren, Informationstechnik und speziellen Maschinen ermöglicht es, die Teilbereiche eines Feldes individuell und exakt nach Bedarf mit Nährstoffen und Pflanzenschutzmitteln zu versorgen. Davon profitiert der Landwirt und die Umwelt. Der Sammelbegriff für diese Vorgehensweise lautet Präzisionsackerbau.

Bestellt ein Landwirt heute sein Feld, geht er häufig vom schlimmsten Fall aus: Er spritzt lieber zu viel Pestizide als zu wenig, düngt lieber mehr als zu riskieren, die Pflanzen durch Nährstoffmangel im Wachstum zu begrenzen. Das belastet nicht nur Ökosysteme unnötig, es kostet den Landwirt auch eine Menge Geld. Der Gedanke, dass es geschickter wäre, die richtige Dosis zur richtigen Zeit an die richtige Stelle zu bringen, entstand schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Schließlich sind die Bodenbedingungen innerhalb eines Feldes selten homogen, variiert das Wetter innerhalb und zwischen den Anbausaisons.

Sensoren messen Biomasse, Nährstoffe und pH-Wert

Doch eine präzise Feldbearbeitung setzt voraus, dass der Landwirt über die nötigen Informationen verfügt, wo Pflanzen welcher Nährstoff fehlt, wo welche Krankheit ausgebrochen ist. Natürlich kann der Landwirt Bodenproben analysieren und seine Pflanzen untersuchen. Doch das regelmäßig fürs gesamte Feld zu tun ist aufwändig und teuer. Die bessere Alternative und das Herzstück des Präzisionsackerbaus sind Fernerkundungsmethoden und Sensoren am Traktor.

Vom Flugzeug oder Satelliten aus erstellte optische und radiometrische Messungen erlauben es, auf einen Blick den Zustand der Pflanzen auf dem gesamten Feld zu erfassen. Trockene und unterversorgte Bereiche fallen sofort ins Auge. Unterschiede in der bislang gewachsenen Biomasse lassen sich bequem ermitteln.

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Hightech in der Landwirtschaft für eine optimale Nutzung der örtlichen Gegebenheiten.

Hightech in der Landwirtschaft für eine optimale Nutzung der örtlichen Gegebenheiten.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Lisa-Blue

Genauere Analysen der Pflanzen, vor allem aber des Bodens, ermöglichen die Sensoren bei der Überfahrt mit dem Traktor. Elektrische und elektromagnetische Sensoren messen den elektrischen Widerstand und die Kapazität. Optische Sensoren erfassen das sichtbare und nahinfrarote Spektrum des Bodens. Und elektrochemische Sensoren registrieren die Präsenz von Ionen wie Wasserstoff, Kalium oder Nitrat. Ein GPS-System koppelt die Befunde mit Positionsdaten, so dass sich mit entsprechender Software metergenau Rückschlüsse ziehen lassen auf viele wichtige Eigenschaften des Anbaus.

So kann aus der Farbe der Blätter der Chlorophyllgehalt ermittelt werden, der wiederum anzeigt, ob die Pflanze hinreichend mit Stickstoff versorgt ist. Die Körnergröße des Bodens informiert darüber, wie gut das Feld Wasser und Dünger aufnehmen kann. Und hängt bei der Fahrt übers Feld eine horizontale Stange vor dem Traktor, die vom Getreide weggedrückt wird – ein sogenanntes Crop Meter –, lässt sich aus ihrem Auslenkungswinkel die Biomasse abschätzen. Sekundenbruchteile später passt sich automatisch die ausgebrachte Menge Dünger der tatsächlichen Pflanzendichte an.

Doch die Sensoren kennen bislang klare Grenzen. Während sich Stickstoffgehalt und pH-Wert des Bodens verlässlich erkennen lassen, gibt es für viele Nährstoffe noch kein geeignetes Messgerät. Ähnlich sieht es beim Pflanzenschutz aus: Pilz- und Virusinfektionen können die Methoden des Präzisionsackerbaus erfassen. Für mobile Schädlinge sind sie nicht Mittel der Wahl, weshalb entsprechende Geräte fehlen. Eine Ausnahme bilden Nematoden: In den USA gibt es Entwicklungsansätze mit Bodensensoren, die bei Baumwolle den Bedarf an Pestiziden gegen die Fadenwürmer um 50 bis 90 Prozent verringert haben. Ähnliches könnte in Europa bei der ebenfalls von Nematoden geplagten Zuckerrübe möglich sein.

Darüber hinaus gibt es automatische Vorrichtungen, um bei der Ernte genau zu verzeichnen, welche Feldbereiche welchen Ertrag erbracht haben. Denn während die meisten Sensoren nur einen bestimmten Umweltfaktor erfassen, summiert der Ertrag alle Einflussfaktoren in sich. Für die nächste Saison weiß der Landwirt direkt, welche Feldbereiche besondere Aufmerksamkeit benötigen.

GPS-Systeme steuern den Traktor zentimetergenau

Ist das Feld erst einmal genau kartiert, müssen die Arbeitsmaschinen dem Bedarf entsprechend gelenkt werden. Weil niemand auf Dauer eine Maschine genau nach Plan übers Feld dirigieren kann, wird diese Aufgabe beim Präzisionsackerbau der Maschine selbst überlassen. Lenkhilfen steuern das Fahrzeug GPS-gestützt gemäß der Kartierung. Einige Fahrzeuge arbeiten komplett autonom. Das verhindert obendrein, dass einzelne Streifen des Felds nicht oder doppelt bearbeitet werden. Ergänzt um ein bodengebundenes Korrektursignal kann der Landwirt per Lenkhilfe auf zwei Zentimeter genau die geplanten Reihenabstände der Aussaat umsetzen. Im Mittel sparen Lenkhilfen sieben Prozent an Zeit und Maschinenkosten.

Nicht nur auf dem Acker, auch im Garten- und Weinbau hält die präzise Technik inzwischen Einzug. Gerade bei Weinstöcken und Obstbäumen rentiert sich die Kartierung, weil die Pflanzen über viele Jahre an der gleichen Stelle stehen und beispielsweise im Fall des Apfels zwölf Mal im Jahr gespritzt werden. Hier ermöglicht der Präzisionsanbau zudem einheitlichere Ernten, denn im Idealfall sollen Anzahl und Größe der Äpfel über die Jahre konstant bleiben. Das funktioniert jedoch nur dann, wenn auch die Zahl und Dichte der Blüten gleichmäßig ist. Von Natur aus produziert ein Baum oft in einem Jahr sehr viele, im nächsten dann sehr wenige Blüten. Optische Sensoren können die Blütendichte erfassen, und der Landwirt kann manuell die Blütenstände ausdünnen, sodass sie in jedem Jahr gleich ist. Selbst dieser Schritt ließe sich noch automatisieren, doch weltweit bietet nur ein Hersteller ein entsprechendes System an.

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Lenkhilfen steuern das Fahrzeug GPS-gestützt gemäß der Kartierung.

Lenkhilfen steuern das Fahrzeug GPS-gestützt gemäß der Kartierung.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Sascha Burkard

Landwirten fehlt oft das Wissen

Trotz der möglichen Einsparungen – durchschnittlich allein 20 Prozent beim Pflanzenschutz – hat sich der Präzisionsackerbau bislang nicht durchgesetzt. Das liegt zum einen an den hohen Investitionskosten. Nicht nur die Messgeräte sind nötig, sondern auch angepasste Arbeitsfahrzeuge. Aus diesem Grund mieten Landwirte die Ausrüstung oder schließen sich mit Nachbarn zusammen, um ihre angrenzenden Felder wie ein virtuelles großes Feld zu behandeln. Wie viel Einsparungen dabei herauskommen, ist dennoch ungewiss. Der Präzisionsackerbau kann nur dann Nutzen bringen, wenn es im Feld genügend Variation gibt. Unter eine Größe von 100 Hektar ist das selten der Fall.

Und dann ist der Präzisionsackerbau auch eine Zeit- bzw. Bildungsfrage. Vielen Landwirten fehlt die Zeit, sich so ausführlich mit dem Thema auseinanderzusetzen, wie nötig wäre, um sich von den Vorteilen zu überzeugen. In ihrer Ausbildung lernen sie selten etwas darüber, denn sogar die Ausbilder sind mit dem Potenzial des Präzisionsackerbaus oft nicht vertraut.

Kombination mit Pflanzenzucht birgt das größte Potential

Dessen Potential ist allerdings gewaltig, nicht nur in Hinsicht darauf, was neue Sensoren möglich machen werden. Es wäre zukünftig zum Beispiel denkbar, innerhalb eines Feldes verschiedene Sorten auszubringen, so dass an trockeneren Stellen trockenresistente Pflanzen wachsen. Natürlich wirft das Fragen hinsichtlich der praktischen Umsetzung auf. Schafft man es, dass der Erntezeitpunkt verschiedener Sorten zusammenfällt? Und welcher Abnehmer akzeptiert einen Sortenmix? Technische Lösungen dafür sollten möglich sein. Braugerste wird beispielsweise schon heute direkt bei der Ernte im Mähdrescher automatisch in zwei Gruppen aufgeteilt, je nach Eiweißgehalt. Also müsste ein Mähdrescher mit entsprechendem Sensor auch zwei Sorten getrennt verarbeiten können. Für die Pflanzenzüchtung würde das bedeuten, dass eine Nachfrage nach vielen verschiedenen, hoch spezialisierten Sorten entstünde.

Auch die Gentechniker werden vom Präzisionsackerbau herausgefordert: Um den Sensoren die Arbeit zu erleichtern, wäre es ideal, wenn die Pflanze aktiv Signale sendet. Fehlt ein bestimmter Nährstoff, könnte sie beispielsweise im UV-Bereich leuchten. Und dann sind da noch die nachwachsenden Rohstoffe: Weil hier die ganze Pflanze verwertet wird, werden dem Boden die Nährstoffe besonders intensiv entzogen. Die Methoden des Präzisionsackerbaus könnten dafür sorgen, bedarfsgenau diese Defizite wieder aufzufüllen.


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