Schon gewusst? Es gibt Hasen- und Schildkrötenökosysteme

Wie die Landwirtschaft schnelllebige Lebensgemeinschaften erzeugt

19.02.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Von Pflanzen und Schmetterlingen bis hin zu Pilzen und Mikroorganismen im Boden: In landwirtschaftlich genutztem Grasland setzen sich im gesamten Ökosystem Lebewesen mit „schnelleren“ funktionalen Strategien durch. (Bildquelle: © Manning/Senckenberg)

Von Pflanzen und Schmetterlingen bis hin zu Pilzen und Mikroorganismen im Boden: In landwirtschaftlich genutztem Grasland setzen sich im gesamten Ökosystem Lebewesen mit „schnelleren“ funktionalen Strategien durch. (Bildquelle: © Manning/Senckenberg)

Durch Düngung und Mahd kommt es im Grasland zu einer Selektion von schnelllebigen Organismen, über alle Nahrungsketten hinweg. Das führt zu einer Systembeschleunigung und es entstehen Lebensgemeinschaften, die deutlich weniger widerstandsfähig gegenüber Klimawandel und Extremwetterereignissen sind. Auch die Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern, verringert sich bei landwirtschaftlich genutzten Flächen.

In allen Ökosystemen sind die darin lebenden Organismen an die spezifischen Bedingungen ihres Lebensraumes angepasst. Eine grundlegende Regel dabei: Bei guter Nährstoffversorgung dominieren Organismen mit schnellem Wachstum, geringerer Körpergröße, kürzerer Lebensdauer und hoher Reproduktionsrate – das sind entsprechend der Fabel vom Hasen und der Schildkröte klar die Hasen in einem Ökosystem. Umgekehrt setzten sich „Schildkröten-Organismen“ in einem ungestörten Lebensraum durch, der wenige Nährstoffe zu bieten hat. Die „Schildkröten“ gehen sparsamer mit den Ressourcen um, leben länger, wachsen deutlich langsamer, werden aber im Laufe ihrer Lebenszeit größer als die „Hasen“.

Gedüngtes Grasland ist ein Turbo-Ökosystem

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In nährstoffarmen, ungestörten Lebensräumen dominieren langsame „Schildkröten“-Organismen, in nährstoffreichen dagegen schnelle „Hasen“. Durch die landwirtschaftliche Nutzung werden immer mehr Ökosysteme weltweit beschleunigt.

In nährstoffarmen, ungestörten Lebensräumen dominieren langsame „Schildkröten“-Organismen, in nährstoffreichen dagegen schnelle „Hasen“. Durch die landwirtschaftliche Nutzung werden immer mehr Ökosysteme weltweit beschleunigt.

Bildquelle: © Manning/Senckenberg

Ein Forschungsteam um Peter Manning vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt und Kolleg:innen der Universität Grenoble Alpes hat nun in diesem Zusammenhang auch die Auswirkungen landwirtschaftlicher Graslandnutzung auf Organismen-Gemeinschaften untersucht. Sie verglichen die Organismen auf landwirtschaftlich genutzten und naturbelassenen Graslandflächen – von Bodenbakterien, Pilzen, Pflanzen, Schmetterlingen bis hin zu Vögeln und Fledermäusen.

Sie konnten auch hier einen deutlichen Trend sehen. Bei zunehmender Düngung und Störung der Ökosysteme durch Mahd und Beweidung fanden sie auf landwirtschaftlich genutzten Flächen vermehrt Organismen, die quasi einem Motto gemeinsam folgten: schnell wachsen, jung sterben.

Auch Ökosystemleistungen betroffen

„In den beschleunigten Ökosystemen laufen beispielsweise auch Prozesse wie Zersetzung, Biomasseproduktion oder der Nährstoffkreislauf zügiger ab“, erklärt Manning. Das hat Folgen: Zwar seien aus Sicht des Menschen solche Systeme zunächst einmal landwirtschaftlich produktiver und ertragreicher. Allerdings könne so ihre Fähigkeit zur CO2-Speicherung vermindert werden, so Manning. Das ist dann eine weniger gute Nachricht für den Klimaschutz. Aber auch andere negative Auswirkungen hat die landwirtschaftliche Nutzung: Eine höhere Versickerung von Nährstoffen bis in das Grundwasser und eine geringere Artenvielfalt. Auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber klimabedingt zunehmenden Extremwetterphänomenen nehme ab.

„Langsame“ Ökosysteme müssen geschützt werden

Die Projektmitarbeiterin Margot Neyret von der Universität Grenoble Alpes sieht nun dringenden Handlungsbedarf: „Durch die zunehmend intensive Landwirtschaft beschleunigen wir wahrscheinlich Ökosysteme auf der ganzen Welt. Wir verlieren so immer mehr langsame Systeme mit ihren spezifischen Organismen und Funktionen. Im Sinne der Vielfalt – und auch mit Blick auf die Herausforderungen durch den Klimawandel – sollten wir hier unbedingt gegensteuern.“


Quelle:
Neyret, M. et al. (2024): “A slow-fast trait continuum at the whole community level in relation to land-use intensification.” In: Nat Commun 15, 1251 (2024). doi: 10.1038/s41467-024-45113-5

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Titelbild: Von Pflanzen und Schmetterlingen bis hin zu Pilzen und Mikroorganismen im Boden: In landwirtschaftlich genutztem Grasland setzen sich im gesamten Ökosystem Lebewesen mit „schnelleren“ funktionalen Strategien durch. (Bildquelle: © Manning/Senckenberg)