Von der Wildpflanze zur Kulturpflanze
Was sagen Gene über die „Geschichte“ von Nutzpflanzen aus? Eine neue Methode ermöglicht, die Evolution vom Wildpflanzentyp zur heutigen Kulturpflanze anhand der genetischen Veränderungen nachzuvollziehen.
Wildpflanzen und die daraus gezüchteten Kulturpflanzen sehen teilweise sehr unterschiedlich aus. Spiegeln sich diese Unterschiede auch in ihren Genen wider? Dies ist nicht unbedingt so, wie amerikanische Wissenschaftler mit Hilfe der Quantitative Trait Locus (QTL) Mapping Methode jetzt zeigen können. In einer Studie untersuchten sie die genetischen Grundlagen der Kultivierung von Reis, Maniok und Kokosnuss.
Die Forscher fanden heraus, dass es häufig nur sehr geringer genetischer Modifikationen bedarf, um aus einer Wildpflanze eine Kulturpflanze werden zu lassen. Einige bedeutende Veränderungen im Phänotyp, also im Erscheinungsbild der Pflanze, seien bereits durch eine einzige genetische Veränderung zu erzielen. In einigen Kultivierungsexperimenten gelang es, in weniger als 20 Generationen Kulturpflanzen-ähnliche Gewächse zu züchten. Kultivierungsprozesse könnten somit auch recht kurzfristig stattfinden.
Diese Annahme steht scheinbar im Widerspruch zur bisherigen Vorstellungen der botanischen Archäologie. Danach stellt die Kultivierung von Pflanzen einen längerfristigen, stufenweisen Prozess nach dem Motto „Versuch und Irrtum“ dar. Beide Perspektiven lassen sich jedoch versöhnen, meinen die Wissenschaftler.
Botanik-Archäologen versuchen anhand der Überreste alter Pflanzenfossilien die Geschichte der Pflanzenkultivierung zu rekonstruieren. Ihr Datenmaterial ist dabei jedoch recht spärlich und oft wenig aussagekräftig: ein 10.000 Jahre alter Kürbiskern aus einer Höhle in Mexiko oder vier 12.000 Jahre alte Reiskörner aus einer Felsspalte in der chinesischen Provinz Hunan. Die Genomanalyse und der Vergleich von Pflanzengenomen der gleichen Art können hier wichtige Indizien zur Entwicklungsgeschichte heutiger Nutzpflanzen beisteuern.
Die Kultivierung von Pflanzen als zweistufiger Prozess
Im ersten Schritt einer Kultivierung sind zunächst Eigenschaften entscheidend, die die „Verlässlichkeit“ des Saatguts bei der Züchtung und Ernte verbessern. Hierzu zählen z.B. eine konstante und gleichmäßige Samenkeimung und Fruchtreifung. Diesen Schritt nennt man „Domestikationssyndrom“.
Im zweiten Schritt werden einzelne Eigenschaften der bereits kultivierten Pflanze optimiert. In dieser Phase findet beispielsweise die Züchtung verschiedener Sorten der Kulturpflanzen statt, die sich in Geschmack, Fruchtfarbe oder Fruchtform unterscheiden können.
Im Fall von Getreide waren zwei Merkmale für den ersten Schritt der Kultivierung relevant: der Verlust der Keimruhe (Dormanz) und ein fester Kornsitz in der Ähre.
Wildpflanze vs. Kulturpflanze
Keimruhe (Dormanz)
Die Keimruhe der ausgereiften Samen ist bei Wildpflanzen die Regel. Durch diesen Mechanismus werden die Keimlinge vor ungünstigen klimatischen Bedingungen geschützt, indem die Keimung erst in einer Jahreszeit mit besseren Wachstumsbedingungen erfolgt. In der Landwirtschaft, wo die Samen alle zur gleichen Zeit geerntet und wieder aufs Feld ausgebracht werden, ist diese Eigenschaft nicht erwünscht. Das Saatgut wird dahingehend stark selektiert.
Diese Selektion kann jedoch auch übers Ziel hinausschießen. Wird beispielsweise Reis komplett gegen das Merkmal Dormanz selektiert, tritt häufig ein Phänomen auf, dass man als „pre-harvesting sprouting“ bezeichnet. Dabei keimen die Reiskörner noch an der Mutterpflanze hängend. Dies führt wie das vorzeitige Ausfallen der Körner ebenfalls zu Produktivitätseinbußen.
Kornausfall (Shattering)
Bei einem lockeren Kornsitz lösen sich zwischen Korn und Ähre bestimmte Zellschichten teilweise lange vor der Ernte auf und die Körner fallen zu Boden. Ein lockerer Kornsitz (Shattering) ist bei Wildpflanzen von Vorteil, da sie auf diese Weise effektiv verbreitet werden können. Für Kulturpflanzen ist diese Eigenschaft nachteilig, da die Samen dort alle zur gleichen Zeit geerntet werden sollen.
Archäologische Daten deuten aber darauf hin, dass kultivierte Getreidearten mit festem Kornsitz zunächst eher die Ausnahme waren. Sie treten typischerweise erst in der Kultivierungsgeschichte auf, nachdem die Pflanzen bereits größere Körner aufwiesen.
Die Erklärung der Wissenschaftler: Ein fester Kornsitz erhöht den Ernteertrag, da die Körner zusammen mit der Ähre geerntet werden können und nicht schon vorher ausfallen. Gleichzeitig jedoch erschwert dies das Dreschen, also das Herauslösen der Körner aus den Ähren.
Die Züchtung von Getreide mit festem Kornsitz (Non-Shattering) könnte aus diesem Grund zunächst gegenüber anderen Eigenschaften vernachlässigt worden sein, vermuten die Wissenschaftler. Erst die Züchtung von Pflanzen mit einer optimierten Kombination verschiedener genetischer Mutationen führte zu einer geeigneten Balance: Eine hohe, aber teilweise nicht 100-prozentige Kornfestigkeit, die das Dreschen noch erlaubte - keine leichte Aufgabe für die Züchtung.
Die Nadel im Heuhaufen der Züchtung – Kultivierung Teil 1
Jeder Pflanzenzüchter wird eine Graspflanze von einer Getreidepflanze unterscheiden können. Die genetischen Unterschiede beider Pflanzen sind jedoch sehr viel schwieriger auszumachen. Denn die meisten genetischen Variationen sind nicht direkt mit bestimmten Eigenschaften des Phänotyps assoziiert.
Um einen Zusammenhang zwischen bestimmten Pflanzeneigenschaften und spezifischen Genvariationen herzustellen, nutzten die Wissenschaftler die Methode des Quantitative Trait Locus (QTL) mapping. Mit Hilfe dieser statistischen Methode können besonders starke Assoziationen zwischen phänotypischen Eigenheiten und kurzen DNA-Sequenzen identifiziert und spezifische relevante Bereiche des Genoms markiert werden. Auf diese Weise lässt sich auch der Erbgang komplexer Merkmale untersuchen, der durch verschiedene Gene und ihre Interaktionen mit der Umwelt beeinflusst wird. Hauptziel der QTL-Methode ist es, herauszufinden, ob ein bestimmtes Merkmal durch wenige Gene mit großem Effekt oder durch viele Gene mit je geringem Effekt kontrolliert wird.
Die Wissenschaftler nehmen an, dass ein neuer Phänotyp einer Pflanze dann einfacher kultiviert werden kann, wenn die relevanten Merkmale durch wenige Gene kontrolliert werden. Deutlich schwieriger wird die Kultivierung neuer Eigenschaften, wenn diese durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene bestimmt wird. Die genetischen Daten belegen, dass einige für die Kultivierung von Wildpflanzen besonders wichtigen Merkmale in der Regel durch wenige Gene kodiert werden. Es gibt jedoch „verschiedene Wege zur Kulturpflanze“, erläutern die Forscher. Die gleichen Merkmale werden manchmal durch verschiedene Genkonstellationen kontrolliert. Beispielsweise verhindern unterschiedliche Gene den Kornausfall bei den zwei kultivierten Abstammungslinien der Gerste. Auch seien Gerste, Bohnen und asiatischer Reis mehr als einmal kultiviert worden.
Die bunte Welt der Züchtung – Kultivierung Teil 2
Ist eine Pflanze erst einmal für Anbau und Ernte zugänglich gemacht, kann sie vom Züchter leichter auch auf andere Eigenschaften hin optimiert und verändert werden. Am Beispiel von Kleb- und Durftreis genauer haben dies Forscher genauer untersucht.
Sie fanden heraus, dass Klebreis, anders als andere Reissorten, nur zu 20% aus der Stärkekomponente Amylose, besteht, hingegen zu einem großen Teil aus der Stärkekomponente Amylopektin. Amylose ist ein unverzweigtes Molekül. Amylopektin dagegen ist verzweigt, wodurch sich die Moleküle der Reisstärke beim Kochen verbinden. Das Ergebnis: der Reis klebt zusammen.
Entstanden sein könnte diese Sorte durch die gezielte Selektion von Reiskörnern mit einer spezifischen Mutation an einem Gen, das „Waxy“ genannt wird. Die Genmutation verhindert, dass die Pflanze ein zur Amyloseproduktion wichtiges Enzym produziert. Fehlt der Reispflanze dieses Enzym und damit die Amylose, dann sind die Körner mit der klebrigen Stärke Amylopektin gefüllt.
Der Duft, der beim Kochen von Basmati oder Jasmin Reis entsteht, ist Ergebnis einer aromatischen Komponente namens 2-Acetyl-1-Pyrroline (2AP). Dieser Aromastoff ist auch eine Komponente des Dufts von gekochtem Mais, Brotkruste und Krabbenfleisch. Ein spezifisches Gen im Reis kontrolliert die Produktion des 2AP. Obwohl die wahrscheinlichste Ursache für den leckeren Reisduft eine bestimmte Variante des Gens Betaine Aldehyde Dehydrogenase (BADH2) ist, kann das Aroma auch durch eine Vielzahl weiterer Varianten dieses spezifischen Gens ausgelöst werden.
Die Grenzen der QTL-Methode
Die QTL-Methode liefert tiefe Einblicke in den Kultivierungsprozess von Pflanzen. Um die Entwicklungsgeschichte der Kultivierung nachzuzeichnen, bedarf es jedoch mehr als der Genomanalyse heute noch vorhandener Getreidepflanzen. Sie liefert keine Rückschlüsse auf die Abstammungsgeschichte alter Kultursorten, die heute nicht mehr vorhanden sind. Zudem sagt sie nichts über Kultivierungsexperimente aus, die scheiterten oder nicht weiter vorangetrieben wurden. Zur Klärung dieser Rätsel bleibt weiterhin nur die botanische Archäologie.
Publikation:
Gross, B.L. und Olsen, K.M. (2010): Genetic perspectives on crop domestication. In: Trends in Plant Science, (September 2010), DOI: 10.1016/j.tplants.2010.05.008.
Zum Weiterlesen:
Titelbild: Fester Kornsitz ist ein Merkmal der Kultivierung von Getreide. (Quelle: © Lichtbild-Austria / pixelio.de)