Wie können Pflanzen „sehen“?

Neue Erkenntnisse zur Struktur und Funktionsweise von pflanzlichen Phytochromen

17.06.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Licht ist ein überlebenswichtiger Faktor für Pflanzen. Mithilfe von Photorezeptoren können sie Licht wahrnehmen und auf unterschiedliche Weise nutzen. (Bildquelle: © Tien Vu/Pixabay/CC0)

Licht ist ein überlebenswichtiger Faktor für Pflanzen. Mithilfe von Photorezeptoren können sie Licht wahrnehmen und auf unterschiedliche Weise nutzen. (Bildquelle: © Tien Vu/Pixabay/CC0)

Augen haben Pflanzen bekanntlich keine – dafür aber Phytochrome. Die speziellen Proteine ermöglichen es ihnen, Licht unterschiedlicher Wellenlänge zu absorbieren und so wichtige Informationen aus ihrer Umwelt wahrzunehmen. So können Pflanzen den Tag von der Nacht unterscheiden und die unterschiedlichen Jahreszeiten registrieren. Wie Phytochrome strukturell aufgebaut sind und funktionieren, ist bisher nur wenig bekannt. Ein Wissenschaftsteam der Universität Gießen, TU Berlin und dem Helmholz-Zentrum Berlin hat neue Erkenntnisse dazu.

Licht ist für viele pflanzliche Prozesse wichtig

Pflanzen nutzen Licht vor allem als Energiequelle für die Photosynthese. Doch Licht beeinflusst auch ihre Entwicklungs- und Wachstumsprozesse, um das vorhandene Licht in ihrer Umgebung optimal nutzen zu können (Photomorphogenese): Dunkelheit führt beispielsweise zu Verkleinerung von Blattflächen, Blattgrünunterdrückung und zur Verlängerung der Stängel.

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Innerhalb der 3D-Struktur eines Phytochrom-Moleküls zeigt sich ein Bilin-Pigment, das das Photon aufnimmt und sich dadurch verdreht, was ein Signal auslöst.

Innerhalb der 3D-Struktur eines Phytochrom-Moleküls zeigt sich ein Bilin-Pigment, das das Photon aufnimmt und sich dadurch verdreht, was ein Signal auslöst.

Bildquelle: © Jon Hughes

Pflanzen sind auch fähig, die Zeit zu messen (Photoperiodismus): Mit ihrer endogenen Uhr können sie Zeit messen und dann anhand der Tageslänge die Jahreszeit feststellen. Licht kann in Pflanzen sogar eine Richtungsreaktion hervorrufen, also auf Licht zu oder von Licht weg zu wachsen (Phototropismus).

Phytochrome – das unerforschte „Auge“ der Pflanzen

Wahrnehmen können Pflanzen Licht mittels Photorezeptoren. Phytochrome sind die am längsten bekannten Photorezeptoren und kommen in höheren Pflanzen, Algen, Bakterien, Cyanobakterien und Pilzen vor. Sie sind Proteine, die an ein lichtabsorbierendes Pigment gebunden sind. Das Pigment absorbiert Licht bestimmter Wellenlängen und verändert sich dadurch strukturell. Das löst eine Umfaltung im Photorezeptorprotein aus, womit eine Signalkaskade in der Zelle aktiviert wird. Phytochrome sind auf diese Weise an der Regulierung von etwa einem Viertel des Pflanzengenoms beteiligt.

Trotz intensiver Forschung weltweit wissen wir immer noch nicht so ganau, wie das System funktioniert. Wie sind die Phytochrom-Moleküle gebaut, wie funktioniert das Pigment selbst beim Aktivierungsprozess, wie wird das Umfalten hervorgerufen und dann von der Zelle wahrgenommen?

Antworten auf solche Fragen liefert nun die neuste Studie der Arbeitsgruppe von Prof. Jon Hughes am Institut für Pflanzenphysiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Zusammen mit Forscherinnen und Forschern der Technischen Universität Berlin (TU) und dem Helmholtz-Zentrum in Berlin (HZB) ist es ihnen gelungen, die Strukturen der Phytochrome und Prozesse bei der Lichtwahrnehmung aufzuklären.

Photonen verändern die Struktur der Phytochrome

Das Team konnte die dreidimensionalen Strukturen von verschiedenen pflanzlichen Phytochrom-Molekülen bestimmen. Darin enthalten ist auch das Bilin-Pigment. Bei Anregung durch Licht dreht sich ein Abschnitt des Pigments und verändert die Struktur des Protein-Pigment-Komplexes. Dabei werden Teile der Struktur auseinandergerissen und wieder neu gebildet – ein Vorgang, der die Signalweiterleitung in Gang setzt.

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Für die Studie nutzte das Team das BESSY II in Berlin-Adlershof. Die Anlage ist nicht nur von außen ein Hingucker, wie der Blick in die Speicherringhalle zeigt.

Für die Studie nutzte das Team das BESSY II in Berlin-Adlershof. Die Anlage ist nicht nur von außen ein Hingucker, wie der Blick in die Speicherringhalle zeigt.

Bildquelle: Oben: © HZB/Volker Mai // Unten: © HZB/Michael Setzpfandt

Röntgenstrahlen enthüllen die geheime Struktur

Wie die Strukturen der Phytochrome im Detail aussehen, fanden die Forscherinnen und Forscher in einem komplexen mehrstufigen Verfahren heraus. Zunächst wurden die Phytochrom-Moleküle dazu in Tröpfchen zu mikroskopisch kleinen Kristallen verbunden. Anschließend wurden die Kristalle am BESSY II-Synchrotron in Berlin bestrahlt.

Wie viele andere Forscher auch, nutzte die Arbeitsgruppe den Teilchenbeschleuniger des HZB, da er eine spezielle Art der Röntgenstrahlung – die Synchrotronstrahlung – einsetzt. Synchrotronstrahlung zeichnet sich durch hohe Brillanz, starke Intensität und Polarisierung aus. Die Wellenlängen dieser Röntgenstrahlen werden bei der Bestrahlung an den Elektronen der Proteinkristalle gebeugt und gestreut. Das Abbild dieser Wellenablenkung, das sogenannte Diffraktionsmuster, nutzten die Wissenschaftler zur Errechnung der 3D-Strukuren der Phytochrome.

Bessere Wachstumsbedingungen für Kulturpflanzen

Prof. Hughes betont die Bedeutung der Forschungsergebnisse für die Pflanzenforschung, Züchtung und Landwirtschaft: „Mit unserer Grundlagenforschung wollen wir herausfinden, wie Phytochrome funktionieren. Dabei sind wir nun einen großen Schritt weitergekommen, aber es gibt noch eine Menge zu tun“. „Schon heute können wir jedoch mit gentechnischen Methoden das Phytochromsystem von Nutzpflanzen so verändern, dass die Pflanzen besser wachsen und bessere Ernten erzielt werden können“, sagt Hughes.


Quelle:
Nagano, S. et al. (2020): Structural insights into photoactivation and signalling in plant phytochromes. In: Nature Plants 6, 581–588, (04. Mai 2020), doi: 10.1038/s41477-020-0638-y.

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Titelbild: Licht ist ein überlebenswichtiger Faktor für Pflanzen. Mithilfe von Photorezeptoren können sie Licht wahrnehmen und auf unterschiedliche Weise nutzen. (Bildquelle: © Tien Vu/Pixabay/CC0)