Der „Genklau“ geht um

Ein Fadenwurm erweitert sein Nahrungsspektrum mit Hilfe fremder Gene

07.03.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Nematoden der Art Pristionchus pacificus dienen der Wissenschaft als Modellorganismus. (Bildquelle: © Jürgen Berger/MPI für Biologie)

Nematoden der Art Pristionchus pacificus dienen der Wissenschaft als Modellorganismus. (Bildquelle: © Jürgen Berger/MPI für Biologie)

Fadenwürmer der Gattung Pristionchus tragen artfremde Gene in sich, mit denen sie Cellulose abbauen können. Sie stammen von einem anderen Eukaryoten, höchstwahrscheinlich von einem Schleimpilz. Dieser natürliche Gentransfer bei höheren Organismen ist ein eher seltener Fund, doch immer häufiger finden Forscher:innen „geklaute“ Gene im Tier- und Pflanzenreich, die den Organismen Überlebensvorteile bieten. Auch im Fall des Fadenwurms konnte ein Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für Biologie aufklären, warum der Wurm von den neuen Genen profitiert.

Im Bakterienreich kommt ein Austausch von genetischem Material über Artgrenzen hinweg häufig vor. Man nennt diesen Vorgang horizontalen Gentransfer. Das Bodenbakterium Agrobacterium tumefaciens überträgt einige seiner Gene sogar gezielt in Pflanzenzellen, um sich bessere Lebensbedingungen zur Ansiedlung in Pflanzengewebe zu schaffen – die transformierten Pflanzenzellen stellen spezielle Nährstoffe für die Bakterien her. Bei einigen Linien der Süßkartoffel wurde genetisches Material von Agrobakterien sogar fester Bestandteil des Pflanzengenoms. Aus dem natürlichen Übertragungsmechanismus der Bakterien entwickelten Forscher:innen die ersten gentechnischen Verfahren. So konnten auch artfremde Gene übertragen werden. Etwas, was vorher undenkbar war.

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Beispiele für horizontalen Gentransfer

Ein natürlicher Austausch von genetischem Material außerhalb der geschlechtlichen Fortpflanzung und über Artgrenzen hinweg ist gar nicht so selten wie man glaubt. Meist haben die „Beschenkten“ Fitnessvorteile durch die fremden Gene. So können sie sich besser an die Umwelt, ihren Wirt oder an ihre Nahrungsquelle anpassen. Hier einige Beispiele:

Bakterium > Bakterium
Bakterium > Pflanze
Bakterium > Tier
Pflanze > Pflanze
Pflanze > Tier
Pilz > Tier
Tier > Tier

Natürliche Genübertragung zwischen Eukaryoten

Im Pflanzenreich häufen sich die Funde von horizontalen Genübertragungen. So haben einige parasitische Pflanzen Gene von Ihrem Wirt übernommen, um ihren Stoffwechsel besser an ihn anzupassen. Ein Beispiel ist die Art Rafflesia cantleyi. Auch beim „Hexenkraut“ (Striga hermontica) fand man ein Gen, das mutmaßlich von der Mohrenhirse oder Reis stammen. Aber auch Gräser haben Gene von verwandten Arten übernommen, um sich besser an die Umwelt anzupassen (Dunning et al., 2019).

Letztes Jahr entdeckte ein Forschungsteam erstmals einen horizontalen Gentransfer von Pflanzen auf Insekten: Die Weiße Fliege (Bemisi tabaci), ein gefürchteter Pflanzenschädling, kann mit einem stibitzten Gen die pflanzliche Abwehr erfolgreich umgehen.

Bereits vor etwa 15 Jahren wurde entdeckt, dass auch Fadenwürmer der Gattung Pristionchus fremde Gene in sich tragen. Am besten untersucht sind Nematoden der Art Pristionchus pacificus, da sie der Wissenschaft als Modellorganismus dienen.

Gene für den Celluloseabbau

Die „gestohlenen“ Gene des Fadenwurms enthalten den Bauplan für das Enzym Cellulase. Es baut Cellulose, den Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden, in seine Zuckereinheiten ab – und diese Entdeckung warf Fragen auf: „Pristionchus pacificus-Würmer ernähren sich von Mikroben, nicht von Pflanzen. Es ist also überhaupt nicht einleuchtend, wieso sie ein Gen zum Verdauen von Cellulose besitzen“, sagt Ziduan Han vom Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen. Er und sein Team haben daher die biologische Funktion der Cellulasegene in den Würmern genauer untersucht.

Komplexes Zusammenspiel von Würmern, Käfern und Bakterien

In der freien Natur sind Pristionchus-Fadenwürmer necromenisch lebende Tiere: Sie sind mit Käfern vergesellschaftet und profitieren von deren Tod, ohne ihn aber zu verursachen. Die nur wenige Millimeter langen Würmer verweilen vielmehr im Käfer in einem inaktiven Dauerlarvenstadium – bis ihr Wirtskäfer stirbt. Dann erwachen sie zu neuem Leben und ernähren sich von den Mikroben und anderen Destruenten, die die Käfer zersetzen.

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Fadenwürmer der Gattung Pristionchus leben in Käfern, beispielsweise Kartoffelkäfern. Sie warten, bis der Wirtskäfer eines natürlichen Todes stirbt und ernähren sich dann von Bakterien, Pilzen und anderen Fadenwurmarten, die sich auf dem Kadaver tummeln.

Fadenwürmer der Gattung Pristionchus leben in Käfern, beispielsweise Kartoffelkäfern. Sie warten, bis der Wirtskäfer eines natürlichen Todes stirbt und ernähren sich dann von Bakterien, Pilzen und anderen Fadenwurmarten, die sich auf dem Kadaver tummeln.

Bildquelle: © Zdeněk Chalupský / Pixabay

Welche Vorteile könnten Würmer mit einem Cellulasegen dabei haben? Ein erster Verdacht: Cellulose ist auch in kleinen Mengen in einigen bakteriellen Biofilmen enthalten und Cellulase-produzierende Tiere könnten durch den Abbau der Biofilme besser an ihre Beute kommen.

Würmer mit Cellulasegenen haben Vorteile

Das wollten die Wissenschaftler:innen experimentell überprüfen. Mithilfe des Genomeditierungswerkzeugs CRISPR/Cas9 schaltete das Forschungsteam um Han die Cellulasegene in den Würmern aus. Diese Tiere entwickelten und vermehrten sich deutlich langsamer als ihre Artgenossen mit aktiven Cellulasegenen.

Die Tiere profitieren sogar doppelt von den fremden Genen: Sie können dank der Cellulase den bakteriellen Biofilm effektiv aufbrechen und leichter an ihre Nahrung gelangen. Darüber hinaus verdauen sie zudem die im Biofilm enthaltene Cellulose. „Cellulase abzusondern ist wie die Fähigkeit, eine Pizza gleich mit dem Pizzakarton essen zu können“, sagt Han. „Man hat den doppelten Nutzen, einerseits zusätzliche Nährstoffe aus dem Karton zu gewinnen und andererseits direkt mit dem Essen anfangen zu können, ohne den Karton zu öffnen.“ Unklar war noch, woher die Cellulasegene der Würmer überhaupt stammen.

Herkunft aufgeklärt

Phylogenetische Analysen des Forschungsteams legen nahe, dass Vorfahren der Würmer vor mindestens einem Dutzend Millionen Jahre ein Cellulasegen rein zufällig von anderen Eukaryoten erwarben. Bei den „Spendern“ handelt es sich höchstwahrscheinlich um Schleimpilze der Arten Cavenderia fasciculata oder Tieghemostelium lacteum. Danach hat sich das Gen im Laufe der Zeit bei den Fadenwürmern noch vervielfältigt. Heute enthält das Erbgut des Fadenwurms Pristionchus pacificus acht Cellulasegene. Die hohe Anzahl der Genkopien ist ein weiteres Indiz dafür, wie wertvoll die Cellulasegene für die Tiere sind. Der bessere Zugang zu Nahrungsquellen habe ihnen einen evolutionären Vorteil gegenüber konkurrierenden Nematodenarten verschafft, vermutet das Team.


Quelle:
Han, Z. et al. (2022): Horizontally Acquired Cellulases Assist the Expansion of Dietary Range in Pristionchus Nematodes. In: Molecular Biology and Evolution, (3. Januar 2022), doi: 10.1093/molbev/msab370.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Nematoden der Art Pristionchus pacificus dienen der Wissenschaft als Modellorganismus. (Bildquelle: © Jürgen Berger/MPI für Biologie)