Genomeditierter Weizen

Grünes Licht für Feldversuch-Premiere in Europa

10.09.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Bald wird dieser genomeditierte Weizen in Großbritannien im Freiland angebaut. (Bildquelle: © Rothamsted Research)

Bald wird dieser genomeditierte Weizen in Großbritannien im Freiland angebaut. (Bildquelle: © Rothamsted Research)

Wissenschaftler:innen testen in Großbritannien genomeditierten Weizen im Freiland. Damit entfacht wohl erneut die Debatte, ob in der EU derartige Präzisionseingriffe ins Genom vom Gesetzgeber anders behandelt werden sollten als die klassische gentechnische Veränderung.

Es wird eine Premiere auf Europas Feldern: In Großbritannien hat Ende August die zuständige Regulierungsbehörde grünes Licht gegeben für einen Freilandversuch mit Weizen, der genomeditiert worden ist. Als verarbeitetes Lebensmittel soll das Getreide weniger Acrylamid enthalten, das im Verdacht steht, Krebserkrankungen auszulösen. Bereits im Frühjahr hatte das verantwortliche Forschungsteam über die Entwicklung dieser Weizenpflanzen im Gewächshaus berichtet. Bewährt sich der Ansatz auf dem Feld, dürfte die schwelende Debatte neuen Wind bekommen, ob genomeditierte Pflanzen vom Gesetzgeber genauso zu behandeln sind wie „klassische“ gentechnisch veränderte.

Das Gesundheitsrisiko verringern

Acrylamid entsteht, wenn Weizenmehl gebacken, geröstet oder anderweitig bei hoher Temperatur verarbeitet wird. Davon ist prinzipiell fast jedes Weizen-Produkt betroffen, auch Brot. In Tierversuchen konnte bereits 2002 gezeigt werden, dass Acrylamid karzinogen ist – und auch für den Menschen gilt diese Wirkung als sehr wahrscheinlich.

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Bildstrecke zum Thema: Hier sehen Sie einige Bilder zu den vorangegangenen Gewächshausversuchen zum genomeditierten Weizen.

Bildstrecke zum Thema: Hier sehen Sie einige Bilder zu den vorangegangenen Gewächshausversuchen zum genomeditierten Weizen.

Bildquelle: © Rothamsted Research

Die Europäische Kommission hat deshalb 2017 Richtwerte für Acrylamid in mehreren Gruppen von Lebensmitteln festgelegt und droht Herstellern bei Missachtung damit, einen festen Grenzwert einzuführen. Halten die Hersteller diesen Grenzwert nicht ein, dürfen solche Lebensmittel nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Der Verband FoodDrinkEurope hat deshalb 2019 Empfehlungen erarbeitet, wie der Acrylamid-Gehalt in Endprodukten minimiert werden kann – doch die lassen sich nicht für alle Lebensmittel anwenden, sind oftmals mit hohen Kosten verbunden oder beeinträchtigen die Produktqualität.

Die Forschung konnte inzwischen nachweisen, dass freies Asparagin in den Weizenkörnern die Hauptursache dafür ist, dass Acrylamid bei der Verarbeitung entstehen kann. Die Pflanzenzüchtung sucht deshalb nach Wegen, Sorten mit geringem Asparagingehalt im Samen zu erzeugen. Erzeugt wird diese proteinogene Aminosäure durch das Enzym Asparaginsynthetase. Weizen besitzt gleich fünf entsprechende Gene, doch nur eines davon – TaASN2 – wird im Embryo in hoher Konzentration exprimiert. Das britische Forschungsteam hat deshalb beschlossen, dieses Gen mit der Genschere auszuschalten. So könnte der freie Asparaginanteil im Mehl sinken, ohne dass in anderen Geweben die Aminosäure nennenswert fehlt.

90 Prozent weniger Asparagin möglich

Mittels der Genomeditierungsmethode CRISPR-Cas9 haben die Fachleute im Gen TaASN2 Knock-out-Mutationen erzeugt und es so ausgeschaltet. Da Weizen hexaploid ist, musste die Methode an sechs Stellen im Erbgut greifen, um die Aktivität von TaASN2 vollständig zu unterdrücken. Bei einigen Pflanzen ist das gelungen, bei anderen nicht komplett. Das Experiment bestätigte in jedem Fall die Theorie: Während der Wildtyp durchschnittlich 1,6 mmol/kg Asparagin in den Samen enthielt, ging die Asparaginkonzentration bei den erfolgreichsten Mutationen auf einen Mittelwert von lediglich 0,14 mmol/kg zurück – eine Senkung um mehr als 90 Prozent.

Im Gewächshaus zeigten die genomeditierten Pflanzen einen ähnlichen Phänotyp wie der Wildtyp – jedoch mit einer Besonderheit: Sie keimten seltener. Die Zugabe einer Lösung mit Asparagin überwand diese Hürde. Weiterhin zeigte sich in der F3-Generation wieder ein leichter Anstieg der Asparaginkonzentration, jedoch mit Werten noch immer weit unter denen des Wildtyps. Die Forscher:innen führen das darauf zurück, dass die Pflanzen gestresst waren. Sie waren im Gewächshaus großer Hitze ausgesetzt, weil sie aufgrund der Auflagen der Behörden nicht vorübergehend ins Freie gestellt werden durften.

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Acrylamid entsteht, wenn Weizenmehl gebacken, geröstet oder anderweitig bei hoher Temperatur verarbeitet wird. Davon ist prinzipiell fast jedes Weizen-Produkt betroffen, auch Brot.

Acrylamid entsteht, wenn Weizenmehl gebacken, geröstet oder anderweitig bei hoher Temperatur verarbeitet wird. Davon ist prinzipiell fast jedes Weizen-Produkt betroffen, auch Brot.

Bildquelle: © Bruno/Germany / Pixabay

Großbritannien überdenkt Regulierung der Gentechnik

Das ist jetzt anders. Die in Großbritannien zuständige Behörde DEFRA hat im August den Versuchsanbau im Freiland genehmigt. Damit wird erstmals in diesem Herbst eine genomeditierte Weizenpflanze in Europa im Feldversuch angebaut.

Technisch gesehen handelt es sich zwar noch um klassische gentechnisch veränderte Pflanzen, denn sie enthalten noch Gene des CRISPR-Cas9-Systems und ein Herbizidtoleranzgen als Selektionsmarker. Reine genomeditierte Pflanzen hingegen enthalten meist nur Punktmutationen innerhalb ihres natürlichen Genoms. Doch die drei Fremdgene der nun erzeugten Weizenpflanzen werden in den nachfolgenden Pflanzengenerationen nach und nach verloren gehen – ein Vorgang, der Segregation genannt wird. Tatsächlich haben einige der Versuchspflanzen schon jetzt zwei der drei Fremdgene verloren. Durch die zahlreichen Pflanzen im Feldversuch gilt als sicher, dass bald Pflanzen zur Verfügung stehen werden, die nur noch als genomeditiert zu betrachten sind.

Dieser feine Unterschied ist von großer Bedeutung. Denn während die meisten Wissenschaftler:innen genomeditierte Pflanzen nicht als gentechnisch verändert einstufen, fällt in der EU die Genomeditierung unter die gleichen Regeln wie die klassische gentechnische Veränderung. Das hat 2018 auch der EuGH zum Erstaunen vieler Forschungseinrichtungen bestätigt. Großbritannien hat diese Einschätzung schon lange in Frage gestellt. Nach dem Austritt aus der EU scheint es daher möglich, dass die dortige Regierung in naher Zukunft nicht nur verstärkt Forschungsvorhaben mit genomeditierten Pflanzen zulassen wird, sondern auch deren kommerziellen Anbau.

Versuchsanbau unter Biosicherheitsvorkehrungen

Der jetzige Versuch soll über fünf Jahre auf einer Fläche von 1.500 Quadratmetern stattfinden. Dabei gelten die üblichen Sicherheitsregeln, darunter eine drei Meter breite Pollenbarriere und ein Abstand von 20 Metern zu anderen Gräsern und Getreiden. Allerdings ist Weizen selbstbestäubend, sodass eine Kreuzung mit anderen Pflanzen schon von Natur aus sehr unwahrscheinlich ist.


Quelle:
Raffan, S. et al. (2021): Wheat with greatly reduced accumulation of free asparagine in the grain, produced by CRISPR/Cas9 editing of asparagine synthetase gene TaASN2. In: Plant Biotechnology Journal 19, 1602-1613, (26. Februar 2021), doi: 10.1111/pbi.13573.

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Titelbild: Bald wird dieser genomeditierte Weizen in Großbritannien im Freiland angebaut. (Bildquelle: © Rothamsted Research)