Anleitung zum Aufstehen
Schlüsselenzym zur Regulation der Samenruhe entdeckt
Den optimalen Zeitpunkt zum Keimen zu erwischen, ist für Pflanzen überlebenswichtig. Auch in der Landwirtschaft hängt viel davon ab, dass Pflanzen rechtzeitig aus der Samenruhe erwachen. Forscher haben nun ein Schlüsselenzym für den Weckruf entdeckt, das diesen Mechanismus bei Weizen und Gerste reguliert. Ein wichtiger Schritt, um den Wecker zukünftig besser stellen zu können.
Timing ist alles, auch für Pflanzen. Treffendes Beispiel ist die Keim- oder Samenruhe, die Dormanz. Die Phase der Keimungsunfähigkeit, in der ein funktionstüchtiger Samen gehindert wird zu keimen. Zum Beispiel, weil der Samen gerade erst von der Mutterpflanze freigegeben wurde (angeborene Dormanz) oder die Startbedingungen in das neue Pflanzenleben wegen anhaltender Kälte oder Trockenheit noch ungünstig sind (erzwungene Dormanz).
Unklarheit über genetische Regulation
Unverkennbar handelt es sich um einen wichtigen und cleveren Mechanismus von Pflanzen, um den Start ins Leben optimal zu planen. Obwohl bereits viele Studien zu diesem Thema veröffentlicht wurden, sind im Hinblick auf die genetische Regulation noch viele Fragen offen. Dabei sind genau diese Informationen wichtig, um die Dormanz besser zu kontrollieren. Schließlich spielt der richtige Keimzeitpunkt auch in der Landwirtschaft eine wichtige Rolle.
Hintergründe aufgedeckt
Zwei aktuelle Studien, die im Rahmen internationaler Forschungsprojekte mit deutscher Beteiligung entstanden sind, beschäftigen sich nun mit diesem Punkt. Ziel war es herauszufinden, wo im Erbgut von Weizen (Triticum aestivum) und Gerste (Hordeum vulgare) die Dormanz reguliert wird. In beiden Fällen verlief die Suche erfolgreich: Neben einem wichtigen Schlüsselenzym fanden die Forscher zudem eine Erklärung, warum sich westliche und asiatische Weizen- und Gerstensorten in puncto Samenruhe voneinander unterscheiden.
Beide Studien kommen zusammengefasst zu einem ähnlichen Ergebnis: Sowohl bei Weizen als auch Gerste bildet ein Schlüsselenzym namens MAP-Kinase-Kinase 3 (kurz MKK3) eine Art Hauptschalter, der am Anfang eines mehrstufigen Signalübertragungswegs steht, ein sogenannter MAP-Kinase-Weg. In der Biologie sind diese als zentrale Schaltstellen in verschiedene Entwicklungsprozesse involviert, z.B. an der Embryogenese, der Entwicklung und dem Wachstum von Zellen bis hin zum programmierten Zelltod (Apoptose).
Eine Winzigkeit macht den Unterschied
Entscheidend für die Regulation der Samenruhe ist eine winzige Veränderung im Aufbau des MKK3-Enzyms, sprich eine natürliche Punktmutation. Von dieser hängt maßgeblich ab, ob ein Samen bereits bei den ersten Anzeichen für günstige Wachstumsbedingungen zu keimen beginnt (niedrige Dormanztoleranz) oder sich Zeit lässt.
Unterschiede zwischen Ost und West
Dass heute hinsichtlich dieses Merkmals so deutliche Unterschiede zwischen westlichen (eher niedrige Dormanztoleranz) und ostasiatischen Weizen- und Gerstenlinien (eher höhere Dormanztoleranz) existieren, ist jedoch weniger einer Laune der Natur, als vielmehr das Werk von mehr als hundert Generationen von Landwirten. Dies verdeutlicht die Geschichte der Gerste. Sie begann vor etwa 10.000 Jahren im Fruchtbaren Halbmond. Damals, dies belegen Ausgrabungen, waren die Verhältnisse auf dem Acker noch ausgeglichen, Sorten von niedriger und höherer Dormanztoleranz gleichermaßen vertreten.
Schnell ist nicht immer besser
6.000 Jahre später in Nordchina hatten sich die Verhältnisse grundlegend verändert. Auf den Feldern dominierten nun Gerstensorten mit einer höheren Dormanztoleranz. Denn was auf dem ersten Blick wünschenswert erschien – ein rasches Aufkeimen kurz nach der Aussaat, also eine relativ niedrige Toleranzgrenze – entpuppte sich bei der Lagerung als Problem. Egal ob als Nahrungsmittelvorrat oder Saatgut. Grund war die Überschneidung von Ernte- und Regenzeit, weshalb jedes Jahr über mehrere Wochen ein recht feuchtwarmes, keimungsförderndes Klima herrschte.
Keimten die Gerstensamen infolgedessen zu früh und schnell aus, führte dies nicht nur zu gravierenden Vor- und Nachernteverlusten, sondern gefährdete auch die Saatgutqualität für die nächste Kampagne. Nach und nach setzten sich daher Sorten mit einer höheren Toleranz durch, die nicht gleich nach der Ernte wieder auskeimenten.
In der Ruhe liegt die Kraft
Die Geschichte verdeutlicht die Bedeutung der Dormanz für die Land- und Ernährungswirtschaft. Wichtige Ziele wie Ertrag und Qualität sind unerreichbar, wenn Pflanzen zum falschen Zeitpunkt keimen. Für Pflanzenzüchter und Saatgutunternehmer heißt dies, sich mit den Klimabedingungen und Gegebenheiten am Standort zu beschäftigen, sich an ihnen zu orientieren. Kein leichtes Unterfangen in Zeiten zunehmender Klimaschwankungen. Um so wichtiger ist die Aufklärung der molekularen Grundlagen, so dass gezielt Sorten mit regional abgestimmten Eigenschaften entwickelt werden können.
Beide Forscherteams haben mit der Entdeckung des Schlüsselenzyms MKK3 einen wichtigen Schritt zum besseren Verständnis gemacht. Streng genommen aber haben sie vorerst nur den Hauptschalter gefunden, den Anfang einer Befehlskette. Welche Gene direkt in die Dormanzregulation bei Weizen und Gerste involviert sind, muss daher noch geklärt werden.
Quellen:
- Nakumara, S. et al. (2016): Mitogen-Activated Protein Kinase Kinase 3 Regulates Seed Dormacy in Barley. In: Current Biology 26 (1-7), (21.März 2016), dx.doi.org/10.1016/j.cub.2016.01.024
- Torada, A. et al. (2016): A Causal Gene for Seed Dormacy on Wheat Chromosome 4A Encode a MAP Kinase Kinase. In: Current Biology 26 (1-6), (21.März 2016), dx.doi.org/10.1016/j.cub.2016.01.063
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Titelbild: Das Schlüsselenzym MKK3 beeinflusst maßgeblich, wie schnell Weizen und Gerste aus der Samenruhe erwachen. (Bildquelle: © Dieter Schütz / pixelio.de)