Aus dem Labor, auf das Feld, auf den Teller

Neue Technologien gelangen in den Fokus der europäischen Politik

08.04.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Das EU-Parlament beschäftigt sich mit dem Thema nachhaltige Landwirtschaft. (Bildquelle: © J. Patrick Fischer / wikipedia.org / CC-by-sa 3.0)

Das EU-Parlament beschäftigt sich mit dem Thema nachhaltige Landwirtschaft. (Bildquelle: © J. Patrick Fischer / wikipedia.org / CC-by-sa 3.0)

Mithilfe neuer Technologien sollen die zukünftigen Herausforderungen im Landwirtschaftssektor angegangen werden. Vor allem soll die Landwirtschaft nachhaltiger werden. In einem durch die Europaabgeordnete Anthea McIntyre verfassten Entwurf eines Berichts, über die technischen Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft in der EU, positioniert sie sich im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI) im Europäischen Parlament klar für eine Unterstützung neuer Technologien, wie das ,,Precision Farming“.

Der Druck auf die Nahrungsmittelerzeuger wird sich durch eine wachsende Weltbevölkerung deutlich erhöhen. Die Nachfrage nach Lebensmitteln wird bis 2050 voraussichtlich um 70 % steigen. Diese Herausforderung muss unter erschwerten Bedingungen bewältigt werden, wie einer Verknappung fruchtbarer Böden, zunehmenden Umweltschäden, dem Verlust an biologischer Vielfalt, Wasser- und Nährstoffmangel, dem Klimawandel und dem damit einhergehenden Aufkommen von bisher unbekannten Schädlingen und Krankheiten sowie einem weltweit erhöhten Energiebedarf.

Neue Technologien als Lösung heutiger und zukünftiger Probleme

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Die Europaabgeordnete Anthea McIntyre fordert die Europäische Union auf, eine Führungsrolle im Agrarsektor einzunehmen.

Die Europaabgeordnete Anthea McIntyre fordert die Europäische Union auf, eine Führungsrolle im Agrarsektor einzunehmen.

Bildquelle: © Altogetherfool / wikimedia.org / CC BY-SA 2.0

Als einen wichtigen Lösungsansatz sieht die Abgeordnete Anthea McIntyre, in ihrer Position als Berichterstatterin im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI) des Europäischen Parlaments, die Einführung von neuen Technologien. Dies macht sie in ihrem Entwurf eines Berichts deutlich. Sie führt in dem Entwurf aus, dass viele Landwirte der Auffassung seien, dass die genetische, die mechanische und zunehmend die digitale Technik die einzige realistische Möglichkeit sei, die zu bewältigenden Herausforderungen zu meistern. Hier fordert McIntyre die Europäische Union auf, eine Führungsrolle in der Welt einzunehmen. Besonders vor dem Hintergrund von 805 Millionen Menschen weltweit, die unter chronischer Mangelernährung leiden, müsse Europa der moralischen Verpflichtung nachkommen, die vorhandenen Flächen so nachhaltig wie möglich zu bewirtschaften.

Precision Farming bringt digitale Technik auf das Feld

Eine nachhaltige Landwirtschaft in der EU ist, nach Meinung der Parlamentarierin, nur mithilfe moderner Technologien wie dem Precision Farming, beziehungsweise der Präzisionslandwirtschaft möglich. Präzisionslandwirtschaft ist ein Sammelbegriff für neue Produktions- und Managementtechniken im Agrarsektor, die intensiv Daten über den jeweiligen Standort und Pflanzenbestand nutzen. Auch der Einsatz von Robotertechnik ist Teil der Präzisionslandwirtschaft. Der Bericht führt allerdings an, dass es bei der Einführung dieser Technologien auf kleinen und uneinheitlichen Flächen noch Nachholbedarf gebe. Es ist wichtig, dass Landwirte bereits bei der Entwicklung von Techniken der Präzisionslandwirtschaft eingebunden werden. Dadurch solle sichergestellt werden, dass diesen die Techniken auch wirklich zugutekommen.

Genetische Vielfalt gegen Probleme des Klimawandels

Ein weiterer Faktor einer nachhaltigen Landwirtschaft ist der Schutz der biologischen Vielfalt. Die im vergangenen Jahrhundert verlorengegangene genetische Vielfalt untergräbt die Ernährungs- und die Futtermittelsicherheit und die Anpassung an den Klimawandel. Zuchtprogramme und die Produktion von nährstoffreichen Lebensmitteln in ausreichenden Mengen spielen eine wichtige Rolle und sollen Vielfalt gewährleisten. Damit dies gelingt solle laut Bericht z. B. der Dialog zwischen Genbanken, Züchtern und Landwirten verstärkt werden. Durch diesen intensivierten Dialog können widerstandsfähigere Arten gezüchtet werden. Die Politikerin fordert in diesem Zusammenhang die Nutzung von erweiterten Keimplasmasammlungen und deren Analyse, um die Ressourceneffizienz der Pflanzen besser ermitteln zu können. Wichtig ist es auch, einen besseren Zugang zu den genetischen Ressourcen zu unterstützen.

Großes Potential in der Präzisionszucht

Die Politikerin spricht sich in ihrem Entwurf für zielgerichtete Züchtungsmethoden aus. Diese sollen nicht nur auf Schädlings- und Krankheitsresistenzen fokussiert seien, sondern stärker Ernährungs- beziehungsweise Gesundheitsaspekte der Konsumenten berücksichtigen. Die große Bedeutung der etablierten Züchtungsmethoden wird betont, aber auch auf das Potential der Präzisionszucht mittels Genom Editierung, wie die Zinkfingernukleasen (ZFN), das CRISPR-CAS9-Systems, die Oligonukleotid-gerichtete Mutagenese (ODM), aber auch auf die verstärkte Nutzung von CMS-Hybriden wird hingewiesen. Die Anwendung der neuen Methoden solle nicht ohne wissenschaftlichen Grund behindert oder reguliert werden. An dieser Stelle wird ein offener und transparenter Dialog aller beteiligten Interessenvertreter gefordert.

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Precision Farming bringt Roboter- und Drohnentechnik auf das Feld.

Precision Farming bringt Roboter- und Drohnentechnik auf das Feld.

Bildquelle: © iStock.com / Robert Mandel

Mehr risikoarme Pflanzenschutzmittel - weniger Bürokratie

Für Pflanzenschutzmittel fordert die Parlamentarierin die Einführung eines schlüssigen, wirksamen, berechenbaren, risikobasierten und wissenschaftlich gesicherten Zulassungsverfahrens. Der Nutzen von Wirkstoffen solle mit den Risiken der eingesetzten Produkte abgewogen und Bürokratie bei der Zulassung abgebaut werden. Speziell im Bereich der risikoarmen Pestizide sollen ebenfalls eindeutige Kriterien für die Entwicklung und den Einsatz dieser Stoffe geschaffen werden. Ein schnelleres Zulassungsverfahren für solche risikoarmen Stoffe würde es Landwirten ermöglichen, schneller auf nachhaltige Pflanzenschutzmittel umzustellen.

Der Wissenstransfer muss sichergestellt und ausgebaut werden

Es ist wichtig, dass die Mitgliedsstaaten mit der Industrie und anderen Interessensvertretern zusammenarbeiten, sodass der Wissenstransfer in diesen Bereichen gesichert ist. Dieses Problem ist besonders in ländlichen Regionen anzugehen, da dort der Fachkräftemangel ein großes Problem darstellt. Gerichtet auf die Agrartechnik entwickelt der Berichtsentwurf konkrete Vorschläge, wie dies geschehen kann. Die verstärkte Nutzung von Felddemonstrationen und die Schaffung von Modell-Bauernhöfen sind solche Ideen. Ziel ist es, ein unabhängiges Beratungswesen zu stärken, um so Best Practice-Prinzipien schneller in die Praxis zu übertragen.

Die EU als Agrarstandort sichern

Als entscheidend bewertet der Bericht Standortfaktoren. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen ein positives Klima schaffen, um so ein Abwandern der beteiligten Unternehmen in innovationsfreundlichere Regionen zu verhindern. Aktuelles Beispiel sind die Verlagerung und Schließung ganzer Geschäftsbereiche von Traditionsunternehmen wie die BASF. Aber auch den Rückgang von Ausbildungs,- Schulungs- und Innovationszentren für die Landwirtschaft in großen Teilen der EU gilt es zu stoppen. Vielmehr müssen transeuropäische Zentren für Agrarinnovation geschaffen werden, um besser auf Herausforderungen reagieren zu können, vor allem aber, um den Agrarstandort Europa dauerhaft zu sichern.

Europa muss sich seiner globalen Verantwortung und der strategischen Bedeutung einer globalen Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit bewusster werden. Grundsätzlich sagt McIntyre, ist ein wichtiger Faktor die Attraktivität der relevanten Bereiche für Nachwuchskräfte. Junge Fachkräfte müssen für die Branche gewonnen werden. Ein weiterer Ansatz ist die Stärkung von öffentlich-privaten Partnerschaften im Landwirtschaftssektor, besonders im Bereich der angewandten Forschung. Die Förderung von Projekten, die sich zum Beispiel mit der Entwicklung ressourceneffizienter Getreidesorten beschäftigen, ist essentiell. Diese Sorten werden dringend benötigt, um dem Wasser- und Phosphatmangel begegnen zu können.

Neue Technologien fördern, statt zu reglementieren

Die besonders vom Klimawandel betroffenen ländlichen Regionen benötigen neue Technologien. Technologiefeindlichkeit steht der Lösung von Problemen entgegen. Neuen Technologien eine Chance einräumen und diese nicht von vornherein zu verwerfen, um attraktiv für Investitionen zu sein, sind Grundvoraussetzungen. So kann Zukunft aktiv mitgestaltet werden. Langfristige Planungssicherheit statt Unsicherheiten schaffen ein investitionsfreundliches Klima. In diesem Zusammenhang wird die Nutzung des neuen Scientific Advice Mechanism (SAM) der Kommission gefordert. Diese wissenschaftsbasierte Politikberatung betont die Abwägung von Nutzen und Risiken bei der Genehmigung neuer Technologien, Erzeugnisse und Verfahren stärker.

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Der Berichtsentwurf fordert ein risikobasiertes und wissenschaftlich gesichertes Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel.

Der Berichtsentwurf fordert ein risikobasiertes und wissenschaftlich gesichertes Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel.

Bildquelle: © iStock.com / simazoran

Agri-Tech-Strategie als Blaupause

Ein positives Vorbild eines politisch begleiteten Wandels in der EU stellt für die Engländerin die Agri-Tech-Strategie Großbritanniens dar. Diese hat zum Ziel, das Vereinigte Königreich zum Weltmarktführer bei Technologieentwicklungen und – Innovationen für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft zu machen. Diese Strategie wurde vor kurzem ins Leben gerufen. Sie umfasst Investitionen in Höhe von 70 Mio £ (ca. 86 Mio. ‎Euro‎) für einen „Agri-Tech-Katalysator“, als Unterstützung einer schnelleren Kommerzialisierung der Agrarforschung. Außerdem beinhaltet die Strategie zusätzliche Mittel von 90 Millionen £ (ca. 111 Mio. ‎Euro) für die Einrichtung von Zentren für Agrarinnovation, mit denen die Fortschritte in der nachhaltigen Landwirtschaft forciert werden sollen.

Horizont 2020-Programm

Auch auf EU-Ebene zeichnet sich bereits eine Unterstützung neuer Technologien ab. Im Rahmen des mit 80 Milliarden Euro ausgestatteten und bereits angelaufenen Horizont 2020 Programms, werden über eine Förderperiode von sieben Jahre auch Projekte zur Entwicklung eines nachhaltigen Agrarsektor unterstützt. Es ist das größte EU-Forschungs- und Innovationsprogramm seit dem Bestehen der EU.

Weichenstellung auf EU-Ebene in den kommenden Wochen

Nachdem der Entwurf des Berichts im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI) bereits im September verlesen und im Dezember vorgelegt wurde, hatten die Ausschussmitglieder die Möglichkeit, Änderungsanträge einzureichen. Bei bestimmten Inhalten des Entwurfs zeichnet sich Widerstand einzelner Mitglieder beziehungsweise Fraktionen ab. Besonders beim Thema Präzisionszüchtung gehen die Meinungen im Ausschuss auseinander und schwanken zwischen genereller Zustimmung der relevanten Passagen bis zur kompletten Streichung selbiger. Die Änderungsvorschläge werden am 26. April verlesen und im Ausschuss beraten. Am 25. Mai präsentiert der Ausschuss seine Position in Berichtsform im Plenum und empfiehlt diesem eine Entscheidung, die bei Zuspruch den Standpunkt des EU-Parlaments festlegt.


Quelle:
Anthea McIntyre (2015) Draft Report on Technological solutions to sustainable agriculture in the EU (2015/2225(INI)). Committee on Agriculture and Rural Development.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Das EU-Parlament beschäftigt sich mit dem Thema nachhaltige Landwirtschaft. (Bildquelle: © J. Patrick Fischer / wikipedia.org / CC-by-sa 3.0)