Chloroplasten-Enzym verhindert Proteinklumpen

Pflanzen gegen Huntington

04.12.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Arabidopsis thaliana: die unscheinbare Ackerschmalwand zeigt ungeahnte Abwehrkräfte gegen Ansammlungen schädlicher Proteine. (Bildquelle: © Jana Bauch / Universität zu Köln)

Arabidopsis thaliana: die unscheinbare Ackerschmalwand zeigt ungeahnte Abwehrkräfte gegen Ansammlungen schädlicher Proteine. (Bildquelle: © Jana Bauch / Universität zu Köln)

Zahlreiche neurodegenerative Erkrankungen sind darauf zurückzuführen, dass Proteine verklumpen. Pflanzen haben in ihren Chloroplasten jedoch Enzyme, die genau das verhindern. Eröffnet dies den Weg zu neuen Medikamenten?

Viele haben schon einmal von der Huntington-Krankheit gehört. Betroffene leiden unter Bewegungs- und Verhaltensstörungen. Auch die geistigen Fähigkeiten können beeinträchtigt sein. Huntington zählt zur Gruppe der sogenannten polyQ-Krankheiten. Sie alle sind dadurch gekennzeichnet, dass einzelne Proteine, bei Huntington ist es das Huntingtin-Protein, mutiert sind und an einem Ende übermäßig viele Glutamin-Aminosäuren aufweisen. Damit erklärt sich auch der Name, denn Glutamin wird mit dem Buchstaben Q abgekürzt. Dadurch bilden sie im Zellplasma Aggregate und stören die normale Zellfunktion.

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Dr. Ernesto Llamas und Professor Dr. David Vilchez hoffen, dass ihre Entdeckung eines Tages zur Therapie von Huntington und ähnlichen Erbkrankheiten eingesetzt werden kann.

Dr. Ernesto Llamas und Professor Dr. David Vilchez hoffen, dass ihre Entdeckung eines Tages zur Therapie von Huntington und ähnlichen Erbkrankheiten eingesetzt werden kann.

Bildquelle: © Jana Bauch / Universität zu Köln

Auch Pflanzen besitzen hunderte solche polyQ-Proteine. Die längste polyQ-Kette in einem pflanzlichen Protein ist 24 Aminosäuren lang. Doch scheinen diese keinerlei Probleme zu verursachen. Krankheiten oder Pathologien, die auf verklumpte polyQ-Proteine zurückzuführen sind, sind bei Pflanzen bisher unbekannt. Ein Team von Wissenschaftlern um Professor David Vilchez von der medizinischen Fakultät der Universität Köln hat jetzt genauer untersucht, wie Pflanzen mit polyQ-Proteinen umgehen.

Pflanzen bauen polyQ-Proteine im Chloroplasten ab

Sie veränderten das Genom der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) so, dass die Pflanzen das Exon 1 des Huntingtin-Proteins (HTT) in zwei unterschiedlichen Längen herstellten: eine unschädliche Variante mit 28 und eine krankhafte Variante mit 69 Wiederholungen von Glutamin. Die gentechnisch veränderten Pflanzen zeigten keinerlei Unterschiede zu den Wildtypen. Wachstum, Blütenbildung und photosynthetische Aktivität waren unverändert. Die Q69-Proteine bildeten auch keine Aggregate.

„Wir waren überrascht, die Pflanzen völlig gesund zu sehen, obwohl sie genetisch das giftige menschliche Protein produzieren. Die Expression von mutiertem Huntingtin in anderen Forschungsmodellen wie menschlichen Zellkulturen, Mäusen und Würmern führt zu schädlichen Auswirkungen und Krankheitssymptomen,“ sagt Professor David Vilchez. Erst wenn man die Pflanzen starkem Hitzestress aussetzte, verklumpten die Q69-Proteine genau wie die pflanzeneigenen polyQ-Proteine.

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Der glutaminreiche N-Terminus von menschlichen Huntingtin. Könnte eine pflanzliche Protease die Verklumpung dieser Proteine verhindern und damit die Krankheit Huntigton heilen?

Der glutaminreiche N-Terminus von menschlichen Huntingtin. Könnte eine pflanzliche Protease die Verklumpung dieser Proteine verhindern und damit die Krankheit Huntigton heilen?

Bildquelle: © Jawahar Swaminathan / Europäisches Institut für Bioinformatik, gemeinfrei

SPP verhindert Proteinverklumpung auch in menschlichen Zellen

Doch wieso hat Q69 in Pflanzenzellen keinen erkennbaren toxischen Effekt? Das Team um David Vilchez fand heraus, dass Pflanzen die polyQ-Proteine in die Chloroplasten hinein transportieren und dort abbauen. Nur wenn sie die dafür verantwortliche SPP-Protease im Chloroplasten pharmakologisch oder genetisch inaktivierten, führte das zu einer Aggregatbildung von Q69.

In einem weiteren Experiment zeigten die Wissenschaftler:innen, dass die pflanzliche SPP auch in menschlichen Zellen und Fadenwürmern (Caenorhabditis elegans) wirkt. SPP verhindert dort die Aggregatbildung von polyQ-Proteinen, ohne jedoch die Proteine selbst abzubauen. Der genaue Wirk-Mechanismus von SPP muss daher noch entschlüsselt werden.

Nebenwirkungen erforschen

SPP bindet in menschlichen Zellen jedoch nicht ausschließlich an Proteine mit übermäßig langen Glutamin-Ketten, sondern auch mit zahlreichen RNA-Bindeproteinen. Bevor das Molekül also als Wirkstoff gegen Huntington oder eine andere neurodegenerative Krankheit zum Einsatz kommen kann, müssen etwaige Nebenwirkungen genau erforscht werden.

Das Team hat inzwischen eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des GO-Bio Initialprogramms erhalten. „Wir wollen unsere Idee in eine Anwendung bringen. Unser Plan ist es, ein Start-up zu gründen, um aus Pflanzen gewonnene therapeutische Proteine zu produzieren und als mögliche Therapeutika zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen beim Menschen zu testen“, sagt Ernesto Llamas, der Erstautor der Studie.


Quelle:
Llamas, E., Koyuncu, S., Lee, H.J. et al. (2023): „In planta expression of human polyQ-expanded huntingtin fragment reveals mechanisms to prevent disease-related protein aggregation”. In: Nat Aging 3, 1345–1357 (2023). doi: 10.1038/s43587-023-00502-1

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Titelbild: Arabidopsis thaliana: die unscheinbare Ackerschmalwand zeigt ungeahnte Abwehrkräfte gegen Ansammlungen schädlicher Proteine. (Bildquelle: © Jana Bauch / Universität zu Köln)