Der Blühschalter
Funktion des Gens HvFT4 entschlüsselt
Der Blühbeginn wird bei vielen Pflanzen durch die Familie der FLOWERING LOCUS T-artigen Gene gesteuert. Für das vierte von insgesamt zwölf solcher Gene in Gerste wurde nun die Funktionsweise näher aufgeklärt.
Blüten sind empfindlich: Ein später Frost, und schon kann es das gewesen sein. Keine Blüte, keine Fortpflanzung und für den Landwirt ein starker Ertragsrückgang. Die meisten Pflanzen regulieren ihren Blühbeginn deshalb unter anderem in Abhängigkeit von Umweltfaktoren wie Temperatur oder Tageslichtdauer. In letzterem Fall ist die Familie der FLOWERING LOCUS T-artigen Gene (FT) wesentlich beteiligt, die durch Genduplikationen und anschließende Diversifikation der Genkopien entstanden ist. Gerste besitzt zwölf solcher Gene, darunter HvFT4, dessen Funktion nun ein deutsches Forschungsteam aufgeklärt hat.
Variabler Blühbeginn ermöglicht Anpassung
Die Fähigkeit, ihren Blühbeginn auf jährliche Schwankungen des Klimas anzupassen, ist für Pflanzen überlebenswichtig. Insbesondere in der Landwirtschaft kommt hinzu, dass sich die Pflanzen so auch an neue geografische Regionen oder an Veränderungen infolge des Klimawandels adaptieren lassen – zumindest teilweise. Dabei hilft das Verständnis der zugrunde liegenden Genetik, das züchterische Optimierungen ermöglicht.
In der Modellpflanze Arabidopsis wird FT an langen Tagen in den Blättern exprimiert und das Protein ins Sprossapikalmeristem transportiert. Hier ist es daran beteiligt, den Übergang vom vegetativen zum reproduktiven Wachstum zu initiieren.
Gerste kann entweder im Winter oder im Frühjahr wachsen. Das jeweilige Verhalten wird durch die Interaktion der Gene VERNALIZATION 1 (VRN-H1) und VERNALIZATION 2 (VRN-H2) bestimmt. VRN-H1 ist ein Repressor von VRN-H2. Wird es während der Vernalisation hochreguliert, aktiviert das die Expression von HvFT1 und HvFT3. HvFT2 ist wahrscheinlich ein Blühpromoter, der in der Signalkaskade unterhalb von HvFT1 angesiedelt ist. Über HvFT4 bis HvFT12 war bislang wenig bekannt.
HvFT4 verzögert die reproduktive Entwicklung
Die Fachleute aus Düsseldorf und Köln haben nun HvFT4 funktional charakterisiert und dessen Proteininteraktionen analysiert. Dazu verglichen sie den Wildtyp mit drei unabhängigen transgenen Linien, in denen HvFT4 überexprimiert wird. Bei letzteren lag der Blühbeginn durchschnittlich zwölf Tage später als beim Wildtyp. Auch vorangehende Entwicklungsschritte wie Ährchenansatz und Stengelverlängerung initiierten die transgenen Pflanzen acht bzw. sieben Tage verspätet. Außerdem zeigte ein Drittel der transgenen Pflanzen zusätzlich eine eingeschränkte Entwicklung des Hauptsprosses, die Pflanzen blieben klein und blühten nicht. In diesen Pflanzen fand das Forschungsteam eine doppelt so hohe Expression des Gens HvFT4 wie in den übrigen transgenen Pflanzen.
Die Studie zeigte zudem eine starke Korrelation zwischen der verzögerten reproduktiven Entwicklung und dem Ernteindex der transgenen Pflanzen: Der Gewichtsanteil der gefüllten Ähren an der gesamten Sprossbiomasse war um 49 bis 84 Prozent verringert. Ursächlich dafür war vor allem der reduzierte Anteil der für die Reproduktion relevanten Biomasse. Die Anzahl der Blüten und der Körner der Hauptähre lag bei den transgenen Pflanzen viel niedriger als bei den Kontrollpflanzen. Auch die gesamte Trockenmasse, das durchschnittliche Korngewicht und die Korngröße fielen bei den transgenen Pflanzen geringer aus. Obwohl letztere infolge der längeren vegetativen Phase mehr Blätter bildeten, entwickelten sie trotzdem signifikant weniger Wurzelsprosse als die Kontrollpflanzen – möglicherweise ein Artefakt der Expression von HvFT4 an unüblichen Orten.
Interaktion mit anderen Regulatoren des Blühzeitpunkts
Die Überexpression von HvFT4 verzögerte die Genaktivitäten von HvFT1 und HvFT2 um elf bzw. 15 Tage. Auf die Expression von HvFT3 und Ppd-H1, das auf die Länge des Tages reagiert, hatte dies jedoch keinen Einfluss. Weitere an der Blütenentwicklung beteiligte Gene waren in den transgenen Pflanzen herunterreguliert, darunter VRN-H1, HvBM3 und HvBM8. Hochreguliert waren hingegen HvBM1 und BM10 in der späten Entwicklungsphase in den Blättern, jedoch nicht in den Blütenständen.
Die natürliche Variation des HvFT1-Lokus erwies sich als gering. So zeigten sich bei den 52 untersuchten domestizierten Genotypen lediglich einzelne Punktmutationen, die ohne Einfluss auf die kodierende Sequenz waren. Um herauszufinden, welche Aminosäureabschnitte HvFT4 zum Blührepressor werden lassen, verglichen die Fachleute die Proteinsequenzen mit FT-artigen Proteinen unterschiedlicher Spezies. Dabei fanden sich zwar einige Kandidaten, doch für eine klare Festlegung ist noch weitere Forschung erforderlich.
Mehrjährige Gerste ist das Langfristziel
Zusammenfassend stellt das Studienteam fest, dass HvFT4 antagonistisch zu HvFT1, HvFT2 und HvFT3 wirkt und damit Blütenstand- und Ährenbildung hemmt. Für die Pflanzenforschung ist das erweiterte Wissen über FT-artige Gene nicht nur für geografische und klimatische Anpassungen von Kulturpflanzen von Bedeutung. Es könnte auf diesem Wege auch gelingen, mehrjährige Getreidesorten zu entwickeln, die im Idealfall sogar mehrere Ernten pro Jahr ermöglichen. Der Weg dorthin ist noch weit und hypothetisch, doch die Leiterin der HvFT4-Studie hat eben erst eine fünfjährige ERC-Förderung über zwei Millionen Euro eingeworben, die genau diesem Zweck dient: Die Entwicklung einer ertragsstarken mehrjährigen Gerste.
Quelle:
Pieper, R. et al. (2020): FLOWERING LOCUS T4 delays flowering and decreases floret fertility in barley. In: Journal of Experimental Botany, (13. Oktober 2020), doi: 10.1093/jxb/eraa466.
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Titelbild: Blühende Gerste: Der Blühzeitpunkt des Getreides wird unter anderem vom Gen HvFT4 bestimmt.