Reiche Kartoffelernten auch ohne Stickstoffdüngung
Das Projekt „SolaMI“
Stickstoff ist lebenswichtig für Pflanzen. Nutzpflanzen sind daher auf Dünger angewiesen. Doch zu viel Dünger ist schädlich für die Umwelt. Was passiert, wenn zukünftig weniger Dünger eingesetzt wird? Können unsere Nutzpflanzen auch bei geringer Stickstoffzufuhr ausreichend Erträge liefern? Am Beispiel der Kartoffel hat sich das Forschungsprojekt „SolaMI“ dieser Frage gewidmet. Eine wilde Kartoffel aus den Anden zeigt, wie das gehen könnte.
Die Kartoffel (Solanum tuberosum) stammt ursprünglich aus Südamerika und kam erst im 16. Jahrhundert mit Seefahrern nach Europa. Während sich damals ihr Anbau hierzulande im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nur langsam ausbreitete, gilt sie heute als wichtiges Grundnahrungsmittel und Deutschland als „Kartoffelland“.
Die großen Herausforderungen im Nutzpflanzenanbau machen auch vor der Kartoffel nicht halt. Ein Problem stellt die Düngung dar. Während Stickstoff für Wachstum, Stoffwechsel und Gesundheit der Pflanzen essentiell ist, können sie den massig verfügbaren molekularen Stickstoff aus der Luft nicht nutzen. Einige Kulturpflanzen, z. B. Erbsen und Bohnen aus der Familie der Hülsenfrüchtler, können durch Symbiose mit Stickstoff-fixierende Bakterien ihren Bedarf stillen. Die meisten anderen Pflanzen sind auf Stickstoff-Dünger angewiesen, um sich mit Ammonium (NH4+) oder Nitrat (NO3-) zu versorgen.
Zu viel Dünger ist jedoch schädlich. Denn Nährstoffüberschüsse, die nicht von der Pflanze aufgenommen werden, belasten die Umwelt und vor allem Gewässer. Daher muss künftig – auch politisch gefordert – deutlich weniger Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Das wiederum kann zu geringeren Erträgen bei Nutzpflanzen führen. Um die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung zu sichern, sind daher die Pflanzen selbst eine wichtige Stellschraube. Ein Ziel ist es, Pflanzen zu züchten, die auch mit wenigen Nährstoffen klarkommen. Hier wollte das Projekt SolaMI am Beispiel der Kartoffel einen Beitrag leisten.
Das Forschungsprojekt SolaMI wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“ gefördert und lief fünf Jahre im Zeitraum von 2016 bis 2021.
Projektteam und Ziele
Am Projekt forschte Dr. Vanessa Wahl mit ihrer Arbeitsgruppe „Metabolismus und Pflanzenentwicklung“ am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam.
„Wir arbeiten daran, die genetischen Grundlagen Stickstoff-gesteuerter Entwicklungsprozesse zu verstehen und das Wissen für die Züchtung nutzbar zu machen. Unser übergeordnetes Ziel ist es, die Basis dafür zu schaffen, aus der Vielfalt bekannter Kartoffeln diejenigen zu finden, die mit geringen Mengen an Stickstoff ökonomisch sinnvolle Erträge liefern“, erklärt Projektleiterin Wahl. Im Projekt untersuchte das Team daher, wie sich die Stickstoffverfügbarkeit auf die Induktion von Blüten- oder Knollenbildung ausgewählter Sorten auswirkt. Denn neben seiner Funktion als Nährstoff ist Nitrat auch ein wichtiges Signalmolekül, das Entwicklungsprozesse steuert.
Das Projekt hatte noch ein weiteres Ziel: Einen Beitrag dazu zu leisten, dass Kartoffeln künftig über ihre Samen vermehrt werden können statt wie bisher vegetativ über kleine Knollen, die Saatkartoffeln. Denn Samen lassen sich aufgrund ihrer geringen Größe und besseren Haltbarkeit viel einfacher transportieren und lagern. Doch dafür ist weiteres Grundlagenwissen nötig, vor allem ein besseres Verständnis der regulatorischen Netzwerke der Blühinduktion auf molekularer Ebene. Damit könnten Erträge erhöht und die Saatgutproduktion optimiert werden.
Aus älteren Studien weiß man, dass die Photoperiode sowohl Knollenbildung als auch Blühinduktion steuert und dass sie ähnliche Signalwege haben. Analog zum „Florigen“ für die Blühinduktion wurde bereits in den 1970er Jahren postuliert, dass es ein mobiles Signal für die Knollenbildung geben muss, welches „Tuberigen“ getauft wurde.
Das Gen FLOWERING LOCUS T (FT) wurde im Jahr 2004 in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana entdeckt, aber erst 2007 als Florigen erkannt (u. a. Corbesier et al., 2007). Auch Kartoffeln haben homologe FT-Gene: StSP3D gilt als Hauptakteur bei der Regulierung der Blühinduktion, während StSP6A das gesuchte Tuberigen ist (Navarro et al., 2011). „Wir haben im Projekt auch genetische Grundlagen in Arabidopsis thaliana weiter untersucht und geprüft, inwiefern sie auf die Kartoffel übertragbar sind“, beschreibt Wahl.
Experimente unter optimalen und suboptimalen Bedingungen
Um den Effekt von Stickstoff und die entwicklungsphysiologischen Reaktionen besser zu verstehen, experimentierte das Projektteam mit vier Kartoffelsorten (Désirée, Milva, Saturna und Alegria) und einer Wildkartoffel (Solanum tuberosum ssp. andigena). Die Pflanzen wurden dabei in einem natürlichen Erdsystem mit zwei Bedingungen angezogen: Ein Boden enthielt einen optimalen Gehalt an Stickstoff, der andere eine reduzierte Menge davon – gerade noch so viel Stickstoff, dass die Pflanzen nicht durch Stickstoffmangel gestresst wurden und keine störenden Nebeneffekte auftraten.
Dabei wurde auch die Tageslänge experimentell kontrolliert. Der Grund: Die benötigte Tageslänge variiert zwischen Kartoffelgenotypen. In wilden Kartoffeln, wie S. tuberosum ssp. andigena, ist die Knollenbildung von kurzen Tagen abhängig. Moderne Sorten sind tagneutral, da ihnen diese Empfindlichkeit gegenüber der Photoperiode „weggezüchtet“ wurde, um sie auch in unseren Breiten gut anbauen zu können.
Während der Anbauphase von etwa drei Monaten wurden zahlreiche Entwicklungsparameter erfasst, wie zum Beispiel nach der Ernte die Zahl und das Gewicht der Knollen.
Wildkartoffeln kommen gut mit Stickstoffmangel aus
In den Experimenten zeigte sich, dass die Erträge von Wildkartoffeln aus den Anden (S. tuberosum ssp. andigena) auch bei geringer Stickstoffversorgung kaum abnehmen. Alle kommerziellen Sorten hatten unter diesen Bedingungen deutlich weniger und kleinere Knollen. Auch enthielten diese Knollen sortenspezifisch mehr Stärke, weniger Zucker und keimten später – sie hatten also eine geringere Knollenqualität. Es gab jedoch Unterschiede: Die Sorten Saturna und Alegria kamen im Vergleich zu Milva und Desirée besser mit wenig Stickstoff zurecht.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es unter den Wildkartoffeln solche gibt, die sich flexibler an unterschiedliche bzw. niedrige Nährstoffangebote anpassen können. Diese Eigenschaft ist modernen Kartoffelsorten durch eine fokussierte Züchtung auf Ertrag unter ausreichender Stickstoffversorgung im Laufe der Zeit zum großen Teil verloren gegangen. Wildkartoffeln könnten also eine wichtige genetische Ressource für die Züchtung stickstoffeffizienterer Sorten darstellen.
Blühinduktion verstehen und molekulare Marker finden
Die Blühinduktion äußert sich durch den Übergang der vegetativen Wachstumsphase hin zur blütenbildenden Fortpflanzungsphase. Dabei verwandelt sich das blattbildende Apikalmeristem des Sprosses in ein blütenbildendes Meristem, aus dem Blüten und schließlich Früchte und Samen hervorgehen. Aus diesem Grund haben die Forscher:innen die morphologischen Veränderungen des Sprossmeristems beim Übergang in die Fortpflanzungsphase bei der Kartoffel genau beobachtet und dokumentiert.
Für Wildkartoffeln wurde vermutet, dass die Blütenbildung unabhängig von der Tageslänge eingeleitet wird. Das Projektteam kam zu dem Ergebnis, dass die Wildkartoffel in Bezug auf die Blühinduktion eine fakultative Langtagpflanze ist. Sie blüht also früher, wenn die Tage lang sind, während im Kurztag die Blühinduktion stark verzögert ist. Diese Eigenschaft teilt die Kartoffel mit A. thaliana. Das war eine interessante Erkenntnis, da für die Knollenbildung umgekehrt kurze Tage und lange Nächte erforderlich sind.
Neben morphologischen Analysen sind metabolische und genetische Marker, die zwischen der vegetativen und reproduktiven Phase unterschiedlich synthetisiert werden, nützliche Werkzeuge. Sie können dazu beitragen, die Blühzeitpunkte verschiedener Sorten zu unterscheiden und dieses Wissen auch für die Züchtung von kommerziellen Sorten zu nutzen. Daher hat das Team auch homologe Gene für die Blühinduktion untersucht, die bereits in anderen Pflanzenarten wie Arabidopsis identifiziert wurden. Mittels RNA in situ Hybridisierung wurde bestimmt, ob diese Gene auch bei der Kartoffel in den Übergangsprozess involviert sein und als molekulare Marker für Forschung und Züchtung eingesetzt werden könnten.
Das Team identifizierte z. B. StMC, StWOX9 und StAN als molekulare Marker. StMC wird spezifisch zur Zeit der Blütenbildung im Apikalmeristem exprimiert. StWOX9 ist schon beim Übergang zur Blüte aktiv, wohingegen StAN ausschließlich im reproduktiven Stadium nachgewiesen wurde.
Genetische Grundlagen in der Modellpflanze gesucht
Pflanzen nehmen Nitrat über die Wurzeln auf und spezielle Transporter befördern es dann in die verschiedenen Pflanzenorgane. Um die daran beteiligte Nitratsignalkette näher zu charakterisieren, führte das Forschungsteam auch Experimente mit Arabidopsis-Pflanzen durch. Sowohl mit dem Wildtyp, als auch mit Mutanten und transgenen Pflanzen, bei denen verschiedene Gene des regulatorischen Netzwerks der Blühinduktion modifiziert wurden.
Das Team erfasste dann die morphologischen und metabolischen Veränderungen, die durch optimale oder niedrige Stickstoffgehalte ausgelöst wurden, und analysierte die Vorgänge auf molekularer Ebene genauer. Dazu ermittelten sie die Genexpressionsmuster mittels RT-qPCR und identifizierten zell- und gewebespezifische Expressionsdomänen mit RNA in situ Hybridisierung. Gleichzeitig stand aber auch immer die Frage im Fokus, ob ähnliche genetische Zusammenhänge bei Kartoffelpflanzen eine entscheidende Rolle spielen.
Das Team um Wahl konnte zeigen, dass auch der Stickstoffgehalt im Boden ausschlaggebend für den Blühzeitpunkt von A. thaliana ist: Gelangt Nitrat nach Aufnahme über die Wurzel schließlich in die Sprossspitze, wird dort verstärkt das Protein SOC1 (SUPRESSOR OF OVEREXPRESSION OF CONSTANS 1) gebildet. SOC1 ist ein zentrales Protein am Sprossapikalmeristem und sorgt dafür, dass das Apikalmeristem keine neuen Blätter, sondern Blüten bildet. „Wenn der Nitrat-Gehalt im Boden optimal war, wurde SOC1 regulär gebildet und die Pflanzen blühten schneller. Bei Stickstoffgehalten, die nahe an einer Mangelversorgung waren, wurde SOC1 dagegen später produziert und die Blühinduktion verzögert“, beschreibt Wahl die neuen Erkenntnisse.
Pflanzen passen sich also gezielt an das Stickstoffangebot an und können in Zeiten einer Mangelversorgung die Blütenbildung hinauszögern. Ein ähnlicher Mechanismus könnte bei der Kartoffel eine Rolle spielen: Ein homologes SOC1 könnte auch hier den Blühzeitpunkt auf diese Weise regulieren.
Fazit: Ergebnisse von Modellorganismen nur teilweise auf andere Arten übertragbar
Viele Züchtungsansätze nutzen genetisches Wissen aus Modellpflanzen, da zahlreiche genetische Grundlagen und Regulationsvorgänge bei vielen Pflanzenarten identisch oder zumindest ähnlich sind. Doch das SolaMI-Projekt hat auch zeigen können, dass der Übertragbarkeit solcher Erkenntnisse auf Nutzpflanzen Grenzen gesetzt sind: „Wir mussten schnell feststellen, dass sich molekular-biologische Zusammenhänge der Modellpflanze Arabidopsis thaliana nicht eins zu eins auf Kartoffeln übertragen lassen, obwohl viele Gene auch bei ihr konserviert sind“, erklärt Wahl.
Das Team hatte beispielsweise in Experimenten mit Kartoffeln auf Wissen aus der Modellpflanze A. thaliana sowie der Tomate (Solanum lycopersicum) zurückgegriffen. Tomaten deshalb, weil deren Blühinduktion sehr gut erforscht ist und sie wie Kartoffeln zu den Nachtschattengewächsen gehören. In Bezug auf die Blühinduktion hat die Kartoffel tatsächlich mehr Ähnlichkeiten mit der Tomate als mit A. thaliana. Trotz dieser Übereinstimmungen ist es dennoch wichtig, auch artspezifisches Wissen zu ermitteln, um für diese Art Lösungsansätze finden zu können, resümiert das Team.
Publikationen aus dem Projekt:
- Olas, J.J. et al. (2021): Developmental stage-specific metabolite signatures in Arabidopsis thaliana under optimal and mild nitrogen limitation. In: Plant Science, (Februar 2021), doi: 10.1016/j.plantsci.2020.110746.
- Gramma, V., Kontbay, K. und Wahl, V. (2020): Crops for the future: on the way to reduce nitrogen pollution. In: American Journal of Botany, (September 2020), doi: 10.1002/ajb2.1527.
- Seibert, T., Abel, Christin und Wahl, V. (2020): Flowering time and the identification of floral marker genes in Solanum tuberosum ssp. andigena. In: Journal of Experimental Botany, (January 2020), doi: 10.1093/jxb/erz484.
- Olas, J.J. et al. (2019): Nitrate acts at the Arabidopsis thaliana shoot apical meristem to regulate flowering time. In: New Phytologist, (März 2019), doi: 10.1111/nph.15812.
- Olas, J.J. und Wahl, V. (2019): Tissue-specific NIA1 and NIA2 expression in Arabidopsis thaliana. In: Plant Signaling & Behavior, (August 2019), doi: 10.1080/15592324.2019.1656035.
- Van Dingenen, J. et al. (2019): Limited nitrogen availability has cultivar-dependent effects on potato tuber yield and tuber quality traits. In: Food Chemistry, (August 2019), doi: 10.1016/j.foodchem.2019.02.113.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Kartoffeln: Geschichte, Züchtung und eine Katastrophe
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- Pflanzennährstoffe besser nutzen - Das Projekt „INPLAMINT“
- Ein Blühhormon bestimmt den Zeitpunkt der Kartoffelernte
Titelbild: Blüten der Kartoffelsorte Saturna. (Bildquelle: © Judith Van Dingenen und Vanessa Wahl)
PLANT 2030 vereint die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsaktivitäten im Bereich der angewandten Pflanzenforschung. Derzeit umfasst dies die nationalen Förderinitiativen: „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“ und „Bioökonomie International“. Weitere Informationen finden Sie unter: PLANT 2030