Egoistisches Gen sorgt für Evolution

Retrotransposons fördern Diversität der Centromer-DNA bei der Acker-Schmalwand

01.06.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) ist ein beliebter Modellorganismus für molekurlarbiologische Untersuchungen. (Bildquelle: © Wikimedia Commons)

Die Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) ist ein beliebter Modellorganismus für molekurlarbiologische Untersuchungen. (Bildquelle: © Wikimedia Commons)

Permanenter Einbau und Elimination von DNA-Sequenzen eines Retrotransposons könnten die hohe Variabilität der Centromer-DNA erklären. Möglicherweise sind diese Erkenntnisse auch auf andere Arten übertragbar.

Centromere bilden den DNA-Abschnitt eines Chromosoms, an dem beide Chromatiden miteinander verbunden sind. Hier setzen in der Metaphase der Mitose die Spindelfasern an. Centromere sind somit der „Dreh- und Angelpunkt“ eines Chromosoms bei der Zellteilung. Umso spannender ist, dass die DNA-Sequenzen der Centromere sich nicht nur bei unterschiedlichen Pflanzenarten, sondern auch innerhalb einer Art erstaunlich stark unterscheiden. Eine internationale Forschungsgruppe unter Beteiligung des Max-Planck-Institutes für Biologie in Tübingen hat sich näher mit den Centromeren bei der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) und der verwandten Art Arabidopsis lyrata auseinandergesetzt.

Neue Methode, neue Erkenntnisse

Das „Centromer-Paradoxon“ beschreibt die Tatsache, dass ein Centromer zwar bei allen Eukaryoten die gleiche Funktion hat, dass der entsprechende DNA-Abschnitt sich aber von Art zu Art und sogar von Individuum zu Individuum innerhalb einer Art sehr stark unterscheiden kann – warum, war bisher nicht ganz geklärt. Bekannt ist, dass das Genom der Acker-Schmalwand in der Centromerregion viele sich oft wiederholende Basenabfolgen, die sogenannte Satelliten-DNA, enthält. Die Forscher vermuten, dass hier der Grund für die hohe Diversität der Centromer-DNA liegt. Satelliten-DNA dient vor allem als Ansatzstelle für die Spindelfasern bei der Zellteilung, wird aber meist nicht transkribiert. Bisher konnte sie mit den verfügbaren Techniken nicht genauer analysiert werden.

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Die nah verwandte Art Arabidopsis lyrata, die in Europa, Asien und Nordamerika vorkommt, wurde von den Forscher:innen zu Vergleichszwecken ebenfalls untersucht.

Die nah verwandte Art Arabidopsis lyrata, die in Europa, Asien und Nordamerika vorkommt, wurde von den Forscher:innen zu Vergleichszwecken ebenfalls untersucht.

Bildquelle: © Fritzflohrreynolds - Own work / Wikimedia Commons /CC BY-SA 3.0

Mittels neuer Long-Read-Sequencing-Methoden („Third-Generation-Sequencing“) hatten die Forscher die Möglichkeit, die DNA von 346 Centromer-Regionen von 66 einzelnen Pflanzen der Acker-Schmalwand genauer unter die Lupe nehmen. Dabei stellten sie überraschend große Unterschiede zwischen den Centromeren-Sequenz der einzelnen Individuen fest. So war der Abschnitt AthCEN178, den sie 5.345.259 mal fanden, 1.234.281 mal einzigartig. Auch im Vergleich mit der nah verwandten Art Arabidopsis lyrata konnten die Forscher Abweichungen feststellen, die sogar noch extremer waren. Die DNA-Abschnitte AlyCEN168 und AlyCEN179 wiesen beispielsweise nur noch eine geringe Ähnlichkeit zu ihrem Arabidopsis thaliana-Äquivalent AthCEN178 auf.

Retrotransposons als Evolutionsbeschleuniger

Was ist der Grund für diese starken Abweichungen? In der Satelliten-DNA konnten die Forscher kurze Gensequenzen des Retrotransposons ATHILA nachweisen. Dieser entfernte Verwandte von Retroviren wie etwa HIV wird oft ein „egoistisches Gen“ genannt. Es ist im Unterschied zu Retroviren aber nicht in der Lage, die Zelle zu verlassen.  Retrotransposons sind mobile („springende“) DNA-Sequenzen, die über eine RNA-Zwischenstufe in die Wirts-DNA eines Individuums eingebaut werden. Diese Sequenzen werden vom zelleigenen Reparaturmechanismus entdeckt und mehr oder weniger gründlich überschrieben oder entfernt – Fehler vorprogrammiert. Die Forscher konnten bei ihren Untersuchungen 9.250 intakte ATHILA-Elemente und 13.556 einzelne LTRs (Long Terminal Repeats, die sich oft in unmittelbarer Nachbarschaft von eingebauten DNA-Sequenzen eines Retrotransposons befinden) identifizieren - davon fanden sich allein im Abschnitt AthCEM178 1.357 ATHILA-Elemente und 549 LTRs. Durch permanenten Einbau bzw. Entfernung dieser Gensequenzen verändert sich die DNA in der Centromerregion eines Individuums kontinuierlich, vermuteten die Forscher:innen. Das könnte der entscheidende Prozess sein, der zur extremen Vielfalt der Centromer-DNA geführt hat.

Die Forscher wollen als nächstes überprüfen, inwieweit diese große Diversität der Centromer-DNA auch in anderen Pflanzen- und Tierarten sowie bei Menschen zu finden ist und ob ebenfalls Retrotransposons als Ursache dafür verantwortlich sein könnten. Außerdem soll erforscht werden, inwieweit die Diversität der Centromere bei der Entstehung neuer Arten von Bedeutung sind. Dabei sind die Vorgänge bisher noch nicht vollständig verstanden und müssen weitergehend untersucht werden. Die Forschung stehe noch ganz am Anfang, aber der erste Schritt sei gemacht, so die Wissenschaftler:innen.


Quelle:
Wlodzimierz, P. et al (2023): Cycles of satellite and transposon evolution in Arabidopsis centromeres. In: Nature 2023. dx.doi.org/10.1038/s41586-023-06062-z

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Titelbild: Die Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) ist ein beliebter Modellorganismus für molekurlarbiologische Untersuchungen. (Bildquelle: © Wikimedia Commons)