Fremdgene für den Landgang
Horizontaler Gentransfer spielte wichtige Rolle in der Pflanzenevolution
Eine Studie hat aufgedeckt, dass Hunderte Gene im Erbgut von Pflanzen ursprünglich von Mikroben stammen. Übertragen wurden sie ganz natürlich – durch horizontalen Gentransfer. Die artfremden Gene haben die Evolution der Landpflanzen vermutlich stärker geprägt als man das bisher vermutet hatte.
Normalerweise werden Gene bei der sexuellen Fortpflanzung von den Eltern auf die Nachkommen übertragen (vertikaler Gentransfer) – fast immer geschieht dies nur innerhalb einer Art. Doch nicht alle Gene, die man heute im Erbgut von Pflanzen findet, sind tatsächlich auch pflanzlichen Ursprungs. Denn in der Natur kann es passieren, dass Gene auch über Artgrenzen hinweg ins Erbgut „einwandern“. Ein solcher „horizontaler Gentransfer“ galt bisher bei höheren Organismen wie Pflanzen als sehr seltenes Phänomen. Allerdings häufen sich die Funde (vgl. „Der „Genklau“ geht um“) und meist sind die neu gewonnenen Gene recht vorteilhaft für den Genempfänger.
Eine kürzlich im Fachmagazin Molecular Plant erschienene Studie hat nun aufgedeckt, wie groß der Anteil an fremden Genen bei Pflanzen wirklich ist. „Ich habe vermutet, dass der horizontale Gentransfer Pflanzen half, sich vom Wasser an Land zu bewegen, aber wir wussten bis jetzt nicht, welche Rolle er spielte“, erklärt Jinling Huang von der Henan University in China ihr Forschungsinteresse.
Erbgut enthüllt Hunderte „Genspenden“
Dafür analysierten sie das Genom von 31 Pflanzen, darunter Moose, Farne, diverse Samenpflanzen und Grünalgen, die mit modernen Landpflanzen verwandt sind. Das Team prüfte systematisch, ob fremdes Genmaterial vorhanden ist. Das erstaunliche Ergebnis: Knapp 600 Genfamilien stammen von Bakterien, Pilzen oder Viren.
Darüber hinaus zeigten die Analysen, dass es zwei große evolutionäre „Wellen“ gab, bei denen in kurzer Zeit sehr viele Fremdgene auf Pflanzen „übergesprungen“ sind. Zum einen während der frühen Entwicklung von Grünalgen (170 Genfamilien) sowie bei der Entstehung von Landpflanzen (über 100 Genfamilien).
Nützliche Eigenschaften für den „Landgang“
Es scheint kein Zufall zu sein, dass gerade bei der Entwicklung von Wasserpflanzen zu Landpflanzen die Rate von horizontalen Gentransfers in die Höhe schoss: Die übernommenen Gene erfüllen teils wichtige biologische Funktionen, die Pflanzen zur Anpassung an ihre neue Umweltbedingungen dringend benötigten: Anpassung an Stressreaktionen, Ionen- und Metabolitentransport, Steuerung von Wachstums- und Entwicklungsprozessen sowie die Bildung von schützenden sekundären Pflanzenstoffen. Konkret halfen bakterielle Gene Pflanzen vor allem dabei, sich an eine trockene Umgebung anzupassen.
Dass die Gene für Landpflanzen essenziell sind, wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass ein großer Teil der neu erworbenen Gene noch in modernen Samenpflanzen zu finden sind.
Und noch ein „Fun Fact“, wenn auch ein etwas schmerzlicher: „Fast jeder hatte schon einmal beim Zwiebelschneiden Tränen in den Augen. Wir fanden heraus, dass das Gen in Zwiebeln, das die Produktion der Tränenflüssigkeit auslöst, tatsächlich von Bakterien stammt“, erklärt Huang.
Quelle:
Ma, J. et al. (2022): Major episodes of horizontal gene transfer drove the evolution of land plants. In: Molecular Plant, (1. März 2022), doi: 10.1016/j.molp.2022.02.001.
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Titelbild: Nützliche Eigenschaften für den Landgang: Bakterielle Gene halfen Pflanzen dabei, sich an eine trockene Umgebung anzupassen. (Bildquelle: © Manuel Schmitt / Pixabay)