Schon gewusst? „Genklau“ häufiger als gedacht

Gen-Hopping von Pflanze auf Bakterien auf Käfer

17.03.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Zwei Meerrettichblattkäfer der Art Phaedon cochleariae fressen an Kohl. In ihrem Erbgut sind Pektinasegene enthalten, die ursprünglich von Bakterien stammen. Mit den Pektinasen können sie ihre pflanzliche Nahrung besser verdauen. (Bildquelle: © Anna Schro

Zwei Meerrettichblattkäfer der Art Phaedon cochleariae fressen an Kohl. In ihrem Erbgut sind Pektinasegene enthalten, die ursprünglich von Bakterien stammen. Mit den Pektinasen können sie ihre pflanzliche Nahrung besser verdauen. (Bildquelle: © Anna Schro

Gentechnik steht seit Jahrzehnten in der Kritik: Artfremde Gene auf Pflanzen oder andere Organismen zu übertragen sei „wider die Natur“. Doch auch ganz natürliche Prozesse führen zum gleichen Ergebnis. So enthalten viele Blatt-Käferarten Gene, die mit ziemlicher Sicherheit aus Pflanzen stammen. Und sie haben den Umweg über Bakterien genommen.

Diese Gene sind sehr nützlich für den Meerrettichblattkäfer und viele andere Blattkäfer, Rüsselkäfer, Borkenkäfer und Stabheuschrecken. Die Insekten ernähren sich von Pflanzen, hauptsächlich den Blättern. Doch um bei der Verdauung an den nahrhaften Zellsaft zu gelangen, müssen die Insekten eine Barriere überwinden.

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Roy Kirch gehört zur Arbeitsgruppe des Max Planck Institutes, die die Bedeutung der mikrobiellen Gene für den Meerrettich-Blattkäfer aufdeckten. Ohne diese Gene sind die Tiere kaum überlebensfähig.

Roy Kirch gehört zur Arbeitsgruppe des Max Planck Institutes, die die Bedeutung der mikrobiellen Gene für den Meerrettich-Blattkäfer aufdeckten. Ohne diese Gene sind die Tiere kaum überlebensfähig.

Bildquelle: © Anna Schroll / MPI

Zellwände knacken mit Pektinasen

Fast alle pflanzlichen Zellen sind von einer starken Zellwand umgeben. Sie besteht aus Cellulose- und Hemicellulosefasern, die in einer Matrix eingebettet sind: dem Pektin. Um die Zellwände zu entfernen, muss zuerst das Pektin abgebaut werden. Dazu haben Blattkäfer spezielle Enzyme in ihrem Verdauungssaft, die Pektinasen. Ist die Matrix abgebaut, können andere Enzyme (Cellulase und Hemicellulasen) die restlichen Bestandteile der Zellwand entfernen und die Tiere gelangen an das protein-reiche Cytoplasma der nun „nackten“ Zellen.

Alles deutet auf „Genklau“

Verschiedene Arbeiten in den letzten Jahren machen es sehr plausibel, dass die Pektinasegene der Insekten ursprünglich von Pflanzen stammen. Sie setzen diese Enzyme ein, um die Pektinstruktur und damit ihre Zellwände dynamisch an die sich ändernden Bedürfnisse anzupassen. Pflanzenpathogene Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze haben dann solche Gene vor Millionen von Jahren von Pflanzen erworben – sprich hier fand eine Genübertragung außerhalb einer geschlechtlichen Fortpflanzung statt - ein sogenannter horizontaler Gentransfer. Den Mikroorganismen ermöglichte die neue Genausstattung, Pflanzengewebe aufzulösen und ihre Wirtspflanzen leichter zu besiedeln.

Die horizontalen Gentransfers wiederholten sich in der Evolution: diesmal von Bakterien auf die Käfer. Eine Arbeitsgruppe des Max Planck Institutes für Chemische Ökologie konnte zeigen, dass der Erwerb von mikrobiellen Enzymen zum Artenreichtum der Blattkäfer und anderer Herbivoren beigetragen hat. Die heutigen Blattkäfer sind ohne die ursprünglich mikrobiellen Pektinasegene kaum überlebensfähig.


Quellen:

  • Enzyme aus Mikroorganismen sind der Schlüssel für die Pektinverdauung von Blattkäfern (Pressemeldung des Max Planck Institutes für Chemische Ökologie, 6. Oktober 2022)
  • Kirsch, R. et al.: 2022: “Metabolic novelty originating from horizontal gene transfer is essential for leaf beetle survival”. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 119 (40), doi: 10.1073/pnas.2205857119

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Titelbild: Zwei Meerrettichblattkäfer der Art Phaedon cochleariae fressen an Kohl. In ihrem Erbgut sind Pektinasegene enthalten, die ursprünglich von Bakterien stammen. Mit den Pektinasen können sie ihre pflanzliche Nahrung besser verdauen (Bildquelle: © Anna Schroll).