Virtuelle Rapswelten

Das Projekt „AVATARS“

28.06.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Beim Spiel „VR Plant Journey“ begibt man sich auf eine 3D-Reise ins Innere einer Rapspflanze. (Bildquelle: © Olaf Sacher, Breakpoint One GmbH)

Beim Spiel „VR Plant Journey“ begibt man sich auf eine 3D-Reise ins Innere einer Rapspflanze. (Bildquelle: © Olaf Sacher, Breakpoint One GmbH)

Beim BMBF-Projekt AVATARS stehen der Rapssamen und seine Vitalität im Fokus. Die Projektpartner erzeugen riesige Datenmengen durch Feldversuche, Untersuchungen an hunderttausenden von Einzelsamen, Anbau unter kontrollierten Umweltbedingung und multiplen Omics-Analysen. Diese werden mithilfe Künstlicher Intelligenz analysiert und mit Verfahren der Virtuellen Realität (VR) in einem erstellten 3D-Modell des Samens visualisiert. Dadurch soll ein neuer und verbesserter Zugang zum Verständnis der Verknüpfungen zwischen Genotyp, Umwelteinfluss und Phänotyp ermöglicht werden – für die Forschung und Züchtung ergeben sich dadurch ganz neue Möglichkeiten. Nebenbei macht eine solche Visualisierung auch Spaß und sie kann für die Bildung eingesetzt werden: Im Rahmen des Projektes entstand bereits ein VR-Spiel für Schüler, mit dem man sich auf eine 3D-Reise in das Innere einer Rapspflanze begeben und dabei spielerisch die komplexen Vorgänge in Wurzel, Blatt und Samen kennenlernen kann.

Enorme Datenmengen sind für Forschung und Züchtung „Fluch und Segen“ zugleich. Oftmals erzeugen moderne Analysemethoden viele Informationen, deren sinnvolle Nutzung aber nicht so einfach ist. Es werden neue Verfahren benötigt, um Daten miteinander zu verknüpfen oder versteckte Muster darin zu erkennen.

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Raps im Fokus: Im Projekt AVATARS wird ein 3D-Modell des Samens entwickelt und alle Organe auf neue Art und Weise visualisiert. Zum anderen will das Team besser verstehen, wie die individuellen Genanlagen einer Rapspflanze sowie die Umweltbedingungen die Keimfähigkeit beeinflussen.

Raps im Fokus: Im Projekt AVATARS wird ein 3D-Modell des Samens entwickelt und alle Organe auf neue Art und Weise visualisiert. Zum anderen will das Team besser verstehen, wie die individuellen Genanlagen einer Rapspflanze sowie die Umweltbedingungen die Keimfähigkeit beeinflussen.

Bildquelle: © Thomas Altmann/IPK Gatersleben

Ein Konsortium geleitet von Professor Thomas Altmann vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben hat nun einen interdisziplinären Ansatz gewählt, um Daten von Rapspflanzen (Brassica napus) aus unterschiedlichsten Analyseverfahren mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) auszuwerten und die erhaltenen Informationen mit virtueller und erweiterter (augmentierter) Realität zu visualisieren.

Im Forschungsprojekt AVATARS (kurz für: Advanced Virtuality and AugmenTed Reality AppRoaches in Seeds to Seeds) sollen so Pflanzenmerkmale, die sich aus der Interaktion von Genotyp und Umwelt ergeben, besser verstanden und vorhergesagt werden können.

Das Projekt AVATARS startete im Jahr 2019 und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Förderprogramm „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“ für fünf Jahre gefördert.

Die Projektpartner und Ziele

Wissenschaftliche Partner:

  • Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben: Prof. Dr. Thomas Altmann (Projektkoordinator), Dr. Ljudmilla Borisjuk, Dr. Hardy Rolletschek, Dr. Jozephus Schippers, Dr. Evgeny Gladilin, Dr. Mary-Ann Blätke, Dr. Matthias Lange
  • Universität Bielefeld: Prof. Dr. Andrea Bräutigam
  • Technische Universität Kaiserslautern (TUK): Prof. Dr. Marius Kloft
  • Leibniz-Universität Hannover: Prof. Dr. Hans-Peter Braun

Industriepartner:

Raps ist eine der wichtigsten Ölpflanzen in Europa. Mitentscheidend für eine gute Ernte ist eine gelungene Aussaat, sprich eine hohe Keimfähigkeit der Samen. Oft reduziert sich die Keimfähigkeit bei der Lagerung der Samen. Sie zu verbessern, ist leider kein einfaches Unterfangen. Viele Gene beeinflussen gemeinsam diese Eigenschaft. Dazu kommt, dass das Zusammenspiel der Organe des Samens noch nicht hinreichend verstanden ist. Denn die Samen bestehen aus drei genetisch verschiedenen Strukturen: dem Embryo, dem Endosperm und der Samenschale, die alle an der Verteilung der Assimilate während der Samenentwicklung beteiligt sind.

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Steckbrief: „AVATARS“


	Versuchspflanze: Raps
	Förderprogramm: „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“, BMBF
	Laufzeit: 2019-2023
	Projektpartner: IPK, TUK, Uni Bielefeld, LUH, NPZi, Breakpoint One
	
	Eintrag in unserer Projektdatenbank: AVATARS I,
	AVATARS II

Steckbrief: „AVATARS“

Das Projekt AVATARS möchte hier im wahrsten Sinne des Wortes Licht ins Dunkel bringen: Zum einen wollen die Projektpartner ein 3D-Modell des Samens entwickeln und alle Organe so auf neue Art und Weise visualisieren.

Zum anderen will das Team besser verstehen, wie die individuellen Genanlagen einer Rapspflanze sowie die Umweltbedingungen die Keimfähigkeit beeinflussen. Ziel ist ein Vorhersagemodell am Computer: Der Genotyp X hat eine hohe oder niedrige Keimfähigkeit.

„So könnten wir die Qualität und Keimfähigkeit der Samen schon anhand individueller genetischer Variationen und Umwelteinflüsse prognostizieren“, sagt Projektkoordinator Professor Thomas Altmann. Die gezielte Züchtung keimfreudiger Rapspflanzen wäre dadurch deutlich einfacher.

Das Vorgehen

Feldversuche und Einzelsamenanalysen liefern Daten für Vorhersagen

Im Projekt werden zum einen umfangreiche Anbauversuche beim Züchtungspartner NPZi durchgeführt, bei denen bis zu 400 Rapslinien an vier Standorten angebaut werden. Am Ende werden Daten aus vier Versuchsjahren vorliegen. Von der NPZi werden aber nicht nur die genomischen Daten der Rapslinien beigesteuert. Hinzu kommen Wetterdaten, Drohnenbilder sowie Bonitierungs- und Phänotypdaten.

Insgesamt 350 000 einzelne Samen der Rapslinien wollen die Forscher:innen der NPZi und am IPK Gatersleben weiter analysieren. Nach unterschiedlichen Messungen, zu denen auch Hyperspektral- und Röntgenanalysen (CT) gehören, wird die Keimung jedes einzelnen Samens geprüft.

Dann geht es um die sinnvolle Verknüpfung: Genetische Daten, die Ergebnisse der Einzelsamenanalysen, Umweltdaten und phänotypische Eigenschaften der Versuchspflanzen werden dann mittels tiefem Maschinellen Lernen (Deep Learning, ein KI-Verfahren) von der Universität Kaiserslautern in Zusammenhang gebracht. Dafür soll ein möglichst präzises Vorhersagemodell entwickelt werden und Erkenntnisse gewonnen werden, welche Daten dafür am nützlichsten sind. Das könnte zukünftig den experimentellen Aufwand für die Datenerhebung verringern.

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Pflanzenkulturhalle „PhänoSphäre“ am IPK Gatersleben: Hier werden 40 Rapslinien unter präzise vorgegebenen Umweltbedingungen wie Wasserversorgung, Wind und Temperatur angebaut.

Pflanzenkulturhalle „PhänoSphäre“ am IPK Gatersleben: Hier werden 40 Rapslinien unter präzise vorgegebenen Umweltbedingungen wie Wasserversorgung, Wind und Temperatur angebaut.

Bildquelle: © Thomas Altmann/IPK Gatersleben

Systembiologische Analysen für 3D-Modell

Darüber hinaus folgen Anbauversuche unter strikt kontrollierten Bedingungen. In der Pflanzenkulturhalle „PhänoSphäre“ am IPK Gatersleben werden 40 Rapslinien unter präzise vorgegebenen Umweltbedingungen wie Wasserversorgung, Wind und Temperatur angebaut. Dabei „erleben“ die Pflanzen zwei unterschiedliche Umweltszenarios: günstige oder ungünstige Bedingungen für ihre Entwicklung ihrer Samen. Das Wachstum und der physiologische Zustand der Pflanzen werden dabei regelmäßig über eine automatisierte Phänotypisierungsplattform (PhenoCrane) überwacht.

Zudem werden vielfältige molekulare Omics-Daten von den Samen dreier Linien erhoben, darunter das Metabolom und das Transkriptom am IPK sowie das Proteom am Institut für Pflanzengenetik der Leibniz Universität Hannover. Das Gewebe der Samen und die Veränderungen während der Entwicklung dokumentiert das IPK durch bildgebende Verfahren wie Magnetresonanztomographie und erstellt metabolische Modelle aus den Omics-Daten. An der Universität Bielefeld leitet das Team um Professorin Bräutigam aus den Transkriptomdaten die zugrundeliegenden regulatorischen Netzwerke ab. Dabei wird untersucht, wie diese sich bei der Samenreifung verändern und durch die Umwelteffekte beeinflusst werden. Mit all diesen systembiologischen Daten wird anschließend das 3D-Modell des Samens gefüllt.

Big Data im virtuellen Raum erlebbar machen

„Wir erheben sehr umfangreiche und komplexe Daten, die sehr unterschiedlich sind. Die Herausforderung ist, diese ‚Datenlawine‘ zugänglich und nutzbar zu machen. Die Idee ist, diese Daten und die Ergebnisse in der virtuellen Realität darzustellen und so ‚erlebbar‘ zu machen“, sagt Altmann.

Dafür musste zunächst ein Datenspeicher und Datenmanagementsystem am IPK aufgebaut werden. In der aktuellen Projektphase werden nun alle gewonnenen Daten in einer interaktiven Umgebung abgebildet.

Die Softwareentwicklung für diese Anwendungen ist dabei Sache des Industriepartners Breakpoint One. Durch die virtuelle und erweiterte (augmentierte) Realität werden die Daten nun durchsuchbar und Verknüpfungen erkennbar. „Man kann dann in die einzelnen Organe des Samens zoomen und sich die Veränderungen in verschiedenen Stadien der Entwicklung anschauen und dabei beispielsweise die Genexpressionsmuster oder die ablaufenden Stoffwechselprozesse sehen“, erklärt Altmann.

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Eine junge Spielerin beginnt ihre erste Reise durch die Pflanze.

Eine junge Spielerin beginnt ihre erste Reise durch die Pflanze.

Bildquelle: © J. Himpe/IPK Gatersleben

Mit dieser neuen Form der Visualisierung können die komplexen Daten vor allem für die praktische Anwendung besser erfasst werden. Doch nicht nur für die Forschung und Züchtung ist die 3D-Welt gewinnbringend.

Eine Reise ins Innere der Pflanze für Jung und Alt

Als Prototyp entstand bereits ein vereinfachtes virtuelles Modell. Es wurde als VR-Spiel konzipiert und richtet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler mit Grundkenntnissen in Biologie.

Dabei ist das ca. 15 minütige virtuelle Erlebnis – „VR Plant Journey“ genannt – für alle Altersstufen eine packende Reise in das Innere einer Pflanze. Einfach eine VR-Brille aufsetzen und schon ist man mittendrin. So kann man die biologischen Vorgänge in der Pflanze spielerisch kennenlernen und bei interaktiven Aufgaben sogar aktiv auf das Wachstum der Pflanze Einfluss nehmen: Photosynthese ankurbeln, Pflanzennährstoffe zusammenbauen und vieles mehr. Die Spieler:innen können dabei in drei Bereiche eintauchen: In die Wurzel, ins Blatt und in den Samen.

Das Spiel wurde bereits bei mehreren Gelegenheiten wie Messen und Ausstellungen vorgeführt – mit großem Erfolg. Highlight für das Projektteam war, dass sie 2021 den VR NOW-Award „Best Industry VR“ des Virtual Reality Berlin-Brandenburg e. V. (VRBB) erhalten haben.


Weiterführende Informationen:

Publikationen aus dem Projekt:

  • Liznerski, P. et al. (2021): Explainable Deep One-Class Classification. In: Proceedings of the International Conference on Learning Representations (ICLR), (Mai 2021), doi: 10.48550/arXiv.2007.01760.
  • Rolletschek, H. et al. (2021): The metabolic environment of the developing embryo: A multidisciplinary approach on oilseed rapeseed. In: Journal of Plant Physiology, Volume 265, (Oktober 2021), doi: 10.1016/j.jplph.2021.153505.
  • Arend, D. et al. (2020): The on-premise data sharing infrastructure e!DAL: Foster FAIR data for faster data acquisition. In: GigaScience 9, (Oktober 2020), doi: 10.1093/gigascience/giaa107.

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Beim Spiel „VR Plant Journey“ begibt man sich auf eine 3D-Reise ins Innere einer Rapspflanze. (Bildquelle: © Olaf Sacher, Breakpoint One GmbH)

PLANT 2030 vereint die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsaktivitäten im Bereich der angewandten Pflanzenforschung. Derzeit umfasst dies die nationalen Förderinitiativen: „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“ und „Bioökonomie International“. Weitere Informationen finden Sie unter: PLANT 2030