Mendel und die moderne Pflanzenzüchtung
„Die Mendelschen Regeln sind auf keinen Fall überholt, aber…“
Nachdem Mendel die Prinzipien der Vererbungslehre entdeckte, dauerte es noch über ein Jahrzehnt bis das Wissen gewürdigt wurde. In diesem Jahr feiern wir das Mendel Jahr: Vor 150 Jahren veröffentlichte Mendel seine berühmten Regeln. Dies nehmen wir zum Anlass, mit der Züchterin Lisa-Marie Krchov, von der KWS Saat SE, über Mendel und die moderne Pflanzenzüchtung zu sprechen. Denn viel hat sich in den 150 Jahren getan.
Pflanzenforschung.de: Vorab kurz ein paar Worte zu Ihrer Person: Was züchten sie?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Ich züchte Mais bei der KWS Saat SE für den chinesischen Markt.
Pflanzenforschung.de: Wie kamen Sie dazu?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Während des Studiums habe ich in den USA ein Praktikum in der Maiszüchtung absolviert, bei AgReliant Genetics, einem Joint Venture der beiden Züchtungsunternehmen KWS und Limagrain. Die Arbeit dort und Mais als Kulturpflanze an sich fand ich total spannend. Meine Wege kreuzten sich später noch weitere Male mit der KWS. Als ich dann meinen jetzigen Chef kennenlernte und er mir einen Job anbot, habe ich sofort zugesagt. So kam ich in die Zuchtstation von Klein Wanzleben, dem Gründungsort der KWS, wo ich nach meiner Promotion direkt als Züchterin startete.
Pflanzenforschung.de: Müssen sie im Rahmen ihrer Tätigkeit oft nach China?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Ich reise ungefähr drei Mal im Jahr nach China. Die Aussaat findet dort, wie bei uns in Deutschland, im April statt. Im Juni fahre ich dann in China alle unsere Felder ab, schaue mir den Fortschritt der Pflanzen an und kontrolliere die Qualität der Versuchsstandorte. Ganz wichtig ist es für mich im September in China zu sein, wo ich kurz vor der Ernte die geeigneten Pflanzen selektiere. Die anschließende Bearbeitung des Zuchtmaterials findet dann eigentlich auf der ganzen Welt statt, beispielsweise werden die Kreuzungen in Südamerika oder Europa durchgeführt. In China wird der Mais getestet, weshalb dort die Selektion stattfindet.
Pflanzenforschung.de: Zurück zum Thema Mendel, der sich intensiv mit Pflanzen und der Vererbung von Merkmalen auseinandergesetzt hat. Mal ganz ehrlich: Sind Mendel und seine Regeln für die moderne Züchtung überholt oder immer noch aktuell?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Die Mendelschen Regeln sind auf keinen Fall überholt. Sie sind noch immer die Grundlage für jeden Pflanzenzüchter und prägen die Pflanzenzüchtung bis heute. Durch dieses Wissen war es möglich, Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften zu kreuzen und deren Nachkommen auf die gewünschten Merkmale hin zu selektieren. Die Mendelschen Regeln sind die Grundlage, wenn es um das Verständnis von Pflanzenzüchtung geht. Man lernt sie noch immer an der Uni.
Natürlich hat sich in den 150 Jahren auch viel getan. Wir wissen heute, dass die Regeln nicht uneingeschränkt gültig sind. Sie gelten nur für monogene Merkmale, das heißt für Eigenschaften, die nur von einem Gen beeinflusst werden. Bei den meisten Merkmalen, die wir züchterisch bearbeiten spielen mehrere, oft sogar hunderte Gene eine Rolle. Und wir können heute viel tiefer in die Pflanze hineinschauen, bis auf Zell- und DNA-Ebene.
Pflanzenforschung.de: Können Sie kurz erläutern, was dieser Blick ins Erbgut, in das Genom, verändert hat?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Es gibt ein besseres Verständnis von der Vererbung von Genen und der Interaktion mit der Umwelt. Wenn man weiß, was auf molekularer Ebene vor sich geht, kann man die Pflanzen viel gezielter und effizienter züchterisch bearbeiten. Früher ging der Züchter aufs Feld. Er hat nur den Phänotyp beurteilen können, also die äußerlich sichtbaren Merkmale einer Pflanze. Beispielsweise auch, wenn eine bestimmte Krankheit aufgetreten war. Der Züchter musste abwarten, um dann zu sehen, welche Pflanzen resistent sind und welche nicht. Mittlerweile können Pflanzenzüchter tief ins Erbgut blicken und so viel früher erkennen, ob eine Pflanze ein bestimmtes Merkmal in sich trägt oder nicht. Um Bescheid zu wissen, wird nur ein Saatkorn oder ein Blatt benötigt, aus dem die DNA extrahiert und untersucht werden kann.
Pflanzenforschung.de: Findet Ihre Arbeit hauptsächlich im Labor statt?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Wir Züchter sind diejenigen, die mit Gummistiefeln durchs Feld stapfen und die Pflanzen selektieren. Für Laborarbeiten gibt es ein eigenes Forschungsteam.
Manchmal stelle ich mir einen Züchter wie einen Dirigenten vor einem Orchester vor – er hat viele Helfer, um am Ende ein Produkt abzuliefern. Das sind zum Beispiel die Computerspezialisten, die Programme schreiben und Daten aufbereiten. Die Kollegen im Labor übernehmen das Technische, wie die DNA-Extraktion, Marker-Analysen, die Auswertung und vieles mehr. Der Züchter ist dann derjenige, der eine Gesamtidee entwickelt und sich ein Konzept überlegt, wie er diese umsetzen und mit welchem Material er arbeiten möchte. Es gibt Züchter, die konventionell arbeiten und gewisse neue Methoden ablehnen und auf der andern Seite welche, die ganz stark neue Methoden einsetzen.
Bei vielen Merkmalen kann man aber nicht einfach sagen, wir extrahieren jetzt die DNA und wissen auf Anhieb, welcher Genotyp zum Beispiel den höchsten Ertrag hat. Das versuchen wir mittlerweile mit Hilfe der genomischen Selektion zu erreichen.
Pflanzenforschung.de: Sie sprechen die genomische Selektion an. Die Idee dahinter ist, dass man schon früh ermitteln möchte, welche Linien ertragreich sind und welche nicht.
Dr. Lisa-Marie Krchov: Genau. Die genomische Selektion ist eine neuere Methode in der quantitativen Genetik. Die meisten Merkmale, die man züchterisch verbessern will, sind von vielen Genen abhängig. Dadurch wird der Züchtungsprozess sehr schwierig, aufwändig und langwierig. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Genotypisierung zwar immer weiter sinken, aber die für die Phänotypisierung steigen, was Feldversuche vergleichsweise teuer macht. Mit Hilfe der genomischen Selektion können Züchter mehr Material testen und die Selektionsintensität erhöhen. Dies führt zu einem höheren Zuchtfortschritt in kürzerer Zeit.
Pflanzenforschung.de: Wie genau geht man vor?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Ein kleiner Teil der Nachkommenschaft einer Kreuzung wird im Feld angebaut. Davon werden die phänotypischen Daten erhoben. Der andere Teil wird genotypisiert und bleibt im Kühllager, wo das Saatgut aufbewahrt wird. Statistische Modelle helfen dann dabei, eine Vorhersage zu treffen, welcher Genotyp besonders ertragreich sein wird.
Pflanzenforschung.de: Das Ziel jeder Züchtung ist es, neue Sorten zu entwickeln, die sich von anderen Sorten positiv unterscheiden. Genomische Daten können dies also unterstützen, da durch sie der Prozess schneller wird?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Genau. Aber wir Züchter werden nach wie vor aufs Feld gehen. Denn trotz genomischer Selektion muss ein Teil der Pflanzen tatsächlich ausgesät und getestet werden. Diese Daten sind die Grundlage für die Vorhersage und bestimmen die Qualität der Prognose.
Es lassen sich aber nicht alle Merkmale gleich gut voraussagen. Für einige funktioniert es gut, für andere nicht. Man muss die Pflanze immer als Ganzes sehen. Pflanzen zu züchten und sich über einen guten Ertrag zu freuen, ist das eine. Es kommt aber auch darauf an, ob sie gute Wurzeln, Resistenzen und einen guten Geschmack haben. Der Züchter kreiert ein Gesamtprodukt. Und es wird hoffentlich nie so werden, dass ein Züchter nur am Schreibtisch sitzt.
Pflanzenforschung.de: Auch Mendel hat die Pflanzen angepflanzt und genau begutachtet. In der Hinsicht hat sich dann die Arbeit des Züchters im Feld nicht verändert?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Wenn es um die Beurteilung der Pflanzen und der Phänotypen geht, hat sich tatsächlich nicht viel geändert. Es sind nur neue Werkzeuge hinzugekommen und diese Entwicklung geht weiter. Aber man braucht vor allem das „züchterische Auge“.
Pflanzenforschung.de: …und Erfahrung…
Dr. Lisa-Marie Krchov: Das stimmt. Man braucht auf jeden Fall viel Erfahrung und Wissen, das man sich über die Jahre in der praktischen Arbeit aneignet. Ich habe viel von älteren Züchtern gelernt, die mit mir in die Felder gegangen sind und mir Tipps gegeben haben, auf was ich achten muss. Es hat dann natürlich ein bisschen gedauert, bis sich der eigene Blick dafür entwickelt hat. Jeder Züchter hat eine eigene, ich würde sagen, Philosophie. Für jeden Züchter sind andere Aspekte wichtig in der Beurteilung.
Der geübte Blick ist auch wichtig, wenn es um die Auswahl neuer Kreuzungspartner geht. Dafür muss der Züchter seine Linien kennen. Er oder sie läuft dann im Zuchtgarten entlang und weiß, das ist die Linie X mit speziellen Eigenschaften und die Linie Y hat andere.
Pflanzenforschung.de: Bekommt man im Studium ein Gespür dafür oder lernt man das erst in der praktischen Arbeit?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Das lernt man erst nach dem Studium in der Zusammenarbeit mit erfahrenen Züchtern. Vor allem wenn man dann im Feld steht. Erst dann wird einem bewusst was die Theorie in der Praxis heißt. Mir ging das beispielsweise so mit der genetischen Variation. Wirklich richtig verstanden was diese Vielfalt bedeutet habe ich erst, als ich zum ersten Mal im Feld stand und die vielen Nachkommen einer Kreuzung gesehen habe. Da standen hundert Reihen von Pflanzen - eine Reihe war drei Meter hoch, die andere ganz klein und so weiter, obwohl alles „Geschwister“ waren.
Pflanzenforschung.de: Wie nutzt man denn diese biologische Vielfalt, die Biodiversität, die die Natur bietet in der Züchtung?
Dr. Lisa-Marie Krchov: Die Wildform von Mais, Teosinte, spielt in der aktuellen Maiszüchtung keine Rolle. Bei anderen Kulturpflanzen ist das ganz anders. Hier kommen Wildpflanzen zum Einsatz, um zum Beispiel Resistenzen für domestizierte Pflanzen nutzbar zu machen. Mais hat von sich aus schon eine sehr breite genetische Vielfalt, so dass man nicht gezwungen ist, auf seine Wildform zurückzugreifen. So gibt es beispielsweise Maispflanzen mit roten Körnern oder Pflanzen, die an das Hochland und andere, die ans Tiefland angepasst sind.
Für unsere Züchtung, also das Einkreuzen von neuen Merkmalen, nutzen wir die genetischen Ressourcen aus der ganzen Welt. Es gibt öffentliche Einrichtungen, wie Genbanken, an die man sich wenden kann, um genetisches Material zu bekommen. Das ist zum Beispiel interessant, um Pflanzen an bestimmte geografische Gegenden und die dortigen Bedingungen anzupassen. Im Wesentlichen nutzen Züchter die natürlichen Variationen und schaffen zudem neue Kombinationen. Wir erhalten die biologische Vielfalt, indem wir sie praktisch nutzen.
Pflanzenforschung.de: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Zum Weiterlesen:
- Maiszucht vor, mit und nach Mendel - Auf dem Weg zur idealen Nahrungspflanze
- 1866 – 2016 - 150 Jahre Mendelsche Regeln
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Titelbild: Auf dem Feld kann der Züchter die äußerlich sichtbaren Merkmale einer Pflanze, den Phänotyp, beurteilen. Im Labor kann ein Blick auf das Erbgut geworfen werden. (Bildquelle: © KWS)