Roggen im genomischen Zeitalter

Neue Möglichkeiten für ein traditionelles Getreide

06.01.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Roggenzüchtung in der Praxis. (Bildquelle: © KWS)

Roggenzüchtung in der Praxis. (Bildquelle: © KWS)

Roggen ist ein traditionelles Getreide, das ungeachtet seiner geringen Anbaufläche eine sehr wichtige Ackerfrucht ist. Pflanzenforschung.de sprach mit Dr. Peer Wilde, Leiter der Roggenzüchtung bei der KWS, über Roggen und das PLANT 2030-Projekt „RYE SELECT“, in dem molekulare Werkzeuge für die Roggenzüchtung entwickelt wurden.

Pflanzenforschung.de: Sie waren gemeinsam mit Ihrem Kollegen Dr. Viktor Korzun Projektkoordinator des PLANT 2030-Projektes „RYE SELECT“, welches das Erbgut des Getreides unter die Lupe nahm. Was genau haben Sie erforscht?

Dr. Wilde: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, genombasierte Präzisionszüchtungsstrategien beim Roggen voranzutreiben. Wie eigentlich immer braucht man für Präzision zu allererst ordentliches Werkzeug! Für unser Projekt bedeutete dies, Tausende DNA-Marker zu entwickeln, die das riesige Genom des Roggens mit einem dichten Netz von Landmarken versehen, ähnlich wie wir das von unserem Navigationssystem im Auto ja mittlerweile gewöhnt sind. Diese Aufgabe ist in RYE SELECT so vorzüglich geglückt, dass bereits nach zwei Jahren 600.000 solcher Zielfähnchen im Genom des Roggens gesetzt waren.

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Dr. Peer Wilde ist Leiter der Roggenzüchtung bei dem Saatzuchtunternehmen KWS. Seit seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit Roggen.

Dr. Peer Wilde ist Leiter der Roggenzüchtung bei dem Saatzuchtunternehmen KWS. Seit seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit Roggen.

Bildquelle: © P. Wilde

Nun sind die vielen Marker-Daten zu den einzelnen Roggen-Genotypen für sich genommen ziemlich unspannend. Es sei denn, biometrische Verfahren verknüpfen sie mit phänotypischen Daten dieser Genotypen so elegant, dass man z. B. deren Kornertrag aus ihnen vorhersagen kann. Wenn diese Vorhersage auch noch hinreichend genau ist, rückt die sogenannte „genomische Selektion“ in den Bereich des Möglichen, d. h. man könnte Kandidatengenotypen nach ihrem vorhergesagten Kornertrag bewerten und die besten schließlich auswählen.

Pflanzenforschung.de: Konnte die genomische Selektion für Roggen etabliert werden?

Dr. Wilde: Ja, wir konnten im Projekt zeigen, dass diese Vorhersagen für den Kornertrag tatsächlich schon erfreulich gut funktionieren. Natürlich kann und muss die Vorhersage-Genauigkeit noch weiter verbessert werden. Und bereits im jetzigen Stadium der Forschung tun sich neue Anwendungsfelder auf. So können künftig weitere wichtige Eigenschaften, die für Landwirte und den praktischen Anbau wichtig sind, vorhergesagt werden.

Deshalb haben wir bei RYE SELECT nicht nur den Kornertrag, sondern auch Merkmale in den Blick genommen, die notwendig sind, um Roggen von einer europäischen Nischenkultur zu einem global bedeutenden Getreide zu entwickeln. Gene, die bestimmte Qualitätseigenschaften und auch eine zuverlässige Pollenschüttung bestimmen, konnten kartiert und ihre Variation in europäischen und exotischen Populationen im Einzelnen charakterisiert werden. Es ist zum Beispiel wichtig die Pollenschüttung wiederherzustellen, da die weiblichen Saateltern von Roggenhybriden pollensteril sind. Zum Schluss benötigt man aber wieder fruchtbare Hybridpflanzen, damit der Landwirt auf seinem Feld überhaupt Körner ernten kann. Die Pollenschüttungsgene müssen daher über den Pollenelter der Hybride eingekreuzt werden. Hochinteressante Genvarianten, die zu einer optimalen Pollenschüttung führen, konnten beispielsweise im Erbgut von Roggen aus Südamerika oder dem Iran gefunden werden.

Pflanzenforschung.de: Wer hat alles im Projekt mitgewirkt und wie lief die Zusammenarbeit mit den Partnern?

Dr. Wilde: Das Konsortium bestand aus Wissenschaftlern von der TU München, dem Julius Kühn Institut, dem IPK Gatersleben und der Universität Hohenheim, das durch ein begeistertes KWS-Team aus Züchtern, Biotechnologen und Biometrikern ergänzt wurde.

Immer wieder spannend zu beobachten ist, wie eine solche - ja sehr interdisziplinäre - Gruppe zusammenwächst. Das gelingt sehr gut, wenn alle eine Leidenschaft für das miteinander teilen, was sie im Projekt tun. Ohne große formelle Strukturen kooperieren dann alle miteinander, tauschen Informationen aus und helfen einander. Schließlich kam in unserem Falle ein großes gemeinsames Wissens- und Erfahrungsrepertoire ins Spiel.

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Züchtung: Kandidatenlinien werden in kleinen Parzellen angebaut und auf ihre Ertragsleistung hin überprüft. Hier werden Versuchsparzellen gerade mit dem Mähdrescher geerntet. Die so gewonnenen phänotypischen Ertragsdaten werden danach mit genomischen Daten verknüpft, um Modelle für die genomische Selektion zu entwickeln.

Züchtung: Kandidatenlinien werden in kleinen Parzellen angebaut und auf ihre Ertragsleistung hin überprüft. Hier werden Versuchsparzellen gerade mit dem Mähdrescher geerntet. Die so gewonnenen phänotypischen Ertragsdaten werden danach mit genomischen Daten verknüpft, um Modelle für die genomische Selektion zu entwickeln.

Bildquelle: © KWS

Pflanzenforschung.de: Das Projekt RYE SELECT ist nun beendet. Wurden alle Fragen geklärt oder neue Fragen aufgeworfen?

Dr. Wilde: Beim Ende von Projekten stellt sich unweigerlich Brechts berühmte Frage „…den Vorhang zu und alle Fragen offen?“ Für RYE SELECT können wir verschiedene positive Antworten geben. Zum Beispiel stellt sich ja immer die Frage nach dem kurzfristigen Nutzen für die praktische Züchtung. In der Tat ist jetzt schon absehbar, dass sich Erkenntnisse aus dem Projekt in Zeit- und Effizienz-Vorteile für die Entwicklung neuer und besserer Roggensorten werden ummünzen lassen.

Langfristig und mehr strategisch orientiert stellt sich die Frage, wie Biodiversität in unserer modernen Landwirtschaft aufrechterhalten werden kann. Oder konkreter gesprochen: Wie kann auch eine kleine Fruchtart wie Roggen, die für die Biodiversität und eine breite Fruchtfolge wichtig ist, wettbewerbsfähig gehalten werden? Aus RYE SELECT konnten wir lernen, wie der Anschluss an die molekulargenetische Wissensentwicklung und damit nachhaltiger Zuchtfortschritt organisiert werden kann.

Pflanzenforschung.de: Sind Sie mit den Ergebnissen des Projektes zufrieden bzw. haben Sie ihr Ziel erreicht, molekulare Präzisionswerkzeuge für die Roggenzüchtung zu entwickeln?

Dr. Wilde: Ja, ich bin sogar sehr zufrieden damit! Ich denke, dass RYE SELECT eines der besten Projekte ist, die ich in meiner jetzt mehr als 25-jährigen Tätigkeit als Roggenzüchter begleitet habe. Dennoch ist absehbar, dass die in RYE SELECT entwickelten molekulargenetischen Werkzeuge recht schnell veralten. Vielleicht erscheint dies auf den ersten Blick widersprüchlich zu meiner positiven Bewertung des Projektes. Aber man kann daraus die Dynamik ablesen, mit der in den letzten 20 Jahren immer neue Typen von Markern zu immer höher auflösenden genetischen Karten und zu immer neuen Anwendungsfeldern geführt haben. Damit sind die jeweils vorausgehenden Entwicklungen keineswegs entwertet, da natürlich jede spätere Generation auf der früheren aufbaut. Mit anderen Worten, Stillstand wäre unweigerlich Rückschritt und würde die gerade errungene Wettbewerbsfähigkeit wieder in Frage stellen.

Pflanzenforschung.de: Ihr Forschungsobjekt, der Roggen, ist ja ein wichtiges Brotgetreide und wird auch als nachwachsender Rohstoff genutzt. Uns würde interessieren, warum nur Winterroggen eine wirtschaftliche Bedeutung hat?

Dr. Wilde: Diese Frage ist sehr berechtigt, wenn man sich vor Augen führt, dass weltweit z. B. die Fläche des Sommerweizens sehr viel größer ist als die der Winterform. Sommerroggen wäre in den Sommergetreide-Anbauregionen, etwa Kanada, Australien oder China, durchaus eine Alternative. Er könnte dort als wertvolles Tierfutter eingesetzt werden. Der Weg dahin dürfte leicht sein, wenn es gelingt, den bei Winterroggen erreichten Zuchtfortschritt elegant auf den Sommerroggen überzuleiten.

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Das genomische Zeitalter hat begonnen: Ein hochmoderner Pipettierroboter hilft den Züchtern im Labor mit den DNA-Proben.

Das genomische Zeitalter hat begonnen: Ein hochmoderner Pipettierroboter hilft den Züchtern im Labor mit den DNA-Proben.

Bildquelle: © KWS

Pflanzenforschung.de: Sie sprechen Weizen an. Er ist der Spitzenreiter unter den Getreiden, auch in Deutschland. Warum hat Roggen an Bedeutung verloren und Weizen an Bedeutung gewonnen?

Dr. Wilde: In der Tat hat Roggen weltweit nur eine Anbaufläche von etwa 5,5 Mio. Hektar, während der Weizen auf ca. 220 Mio. Hektar kultiviert wird. Dementsprechend wird Roggen häufig als eine Nischenart betrachtet. Die Anbaubedeutung der Getreidearten ist einem Wandel unterworfen. Dieser ist durch vielfältige historische, kulturelle oder technische Einflüsse geprägt. So ist z. B. der Siegeszug des Weizens sicher im Kontext damit zu sehen, dass Bevölkerungswachstum in Regionen stattgefunden hat, in denen Weizen angebaut wird bzw. - genauso wichtig - auch kulturell akzeptiert ist. Zum anderen ist Weizen eine Art, die dem technischen und zivilisatorischen Weltbild der „Grünen Revolution“ und deren Vorläufern am meisten entgegenkam.

Pflanzenforschung.de: Warum ist es dann wichtig an Roggen zu forschen?

Dr. Wilde: Anders als damals wird man heute Landbausysteme sehr viel stärker nach ihrer Resilienz beurteilen, d. h. danach fragen, wie gut sie in der Lage sind Stressfaktoren abzupuffern und welchen ökologischen Fußabdruck die Nahrungs- oder Futterproduktion hinterlässt. Die Welternährung hängt gegenwärtig von sehr, sehr wenigen Hauptnahrungspflanzen ab. Roggen kann und wird eine der Arten sein, die zur Biodiversität und damit zur globalen Absicherung beitragen können. Es braucht aber mindestens 20 Jahre für akademische Forschung, praktische Züchtung und Anbauerfahrung bis Investitionen in solche Arten systemwirksam werden. Daraus folgt, dass man sehr gut beraten ist, rechtzeitig anzufangen und konsequente Vorsorgeforschung zu betreiben.

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Im PLANT 2030 Projekt RYE SELECT wurden molekulare Werkzeuge für die Roggenzüchtung entwickelt.Details zum Projekt ...

Im PLANT 2030 Projekt RYE SELECT wurden molekulare Werkzeuge für die Roggenzüchtung entwickelt.
Details zum Projekt ...

Pflanzenforschung.de: Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen an Roggen zu forschen und was fasziniert Sie daran?

Dr. Wilde: Als Student habe ich mich auch ein wenig mit Ackerbohnen und Senf beschäftigt. Dass es dann Roggen wurde, ist eher dem Zufall geschuldet, dass seinerzeit ein interessantes Roggen-Thema für eine Doktorarbeit offenbar auf mich gewartet hat und die KWS sich dann genau für meine Qualifikation interessiert hat.

Was mich damals auch an Roggen gereizt hat, war die Tatsache, dass viele sogenannte Experten diese Getreideart als „aus der Zeit gefallen“ betrachtet hatten. Vor diesem Hintergrund schafft es ein gewisses Vergnügen heute zu sehen, dass genau diese scheinbar „altmodische“ Art jetzt in mancherlei Hinsicht ganz vorne weg läuft. Als Beispiele könnte man die außerordentlich hohe Wertschöpfung für die Pflanzenzüchtung, den recht hohen Zuchtfortschritt oder das gut funktionierende Hybridsystem nennen.

Pflanzenforschung.de: Hand aufs Herz - greifen Sie durch ihre Forschung sensibilisiert, öfter mal zum Roggenbrot?

Dr. Wilde: (lacht) Bisher habe ich glücklicherweise noch nicht beobachtet, dass ich wegen eines Forschungsprojektes mehr Roggenbrot esse. Wenn dieses je der Fall sein sollte, lasse ich mich gerne in ein Gourmet-Restaurant mit anregender Speisekarte einladen.

Pflanzenforschung.de: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!


Einen ausführlichen Artikel zum Thema Roggen, indem auch das Projekt „RYE SELECT“ beschrieben wird finden Sie hier: "Roggen hat Zukunft: Exot und traditionelle Getreideart in einem"

Anregungen zum Weiterlesen:

Titelbild: Roggenzüchtung in der Praxis. (Bildquelle: © KWS)

PLANT 2030 vereint die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsaktivitäten im Bereich der angewandten Pflanzenforschung. Derzeit umfasst dies die nationale Förderinitiative „Pflanzenbiotechnologie für die Zukunft“ und die Ausschreibungen des transnationalen Programms „PLANT-KBBE“, an denen sowohl Wissenschaftler aus dem akademischen Bereich als auch privatwirtschaftliche Unternehmen beteiligt sind.
Weitere Informationen finden Sie unter: PLANT 2030