Orphan Crops

Reich annotiertes Genom der Chia-Pflanze soll als Referenzgenom dienen

02.02.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Chia-Samen in der Vergrößerung. (Bildquelle: © Public Domain)

Chia-Samen in der Vergrößerung. (Bildquelle: © Public Domain)

Lange Zeit hat die Züchtungsforschung Chia als Nischengetreide kaum beachtet. Eine steigende Nachfrage nach den gesunden Samen hat das verändert. Jetzt liegt ein umfassend annotiertes Referenzgenom vor, das den Weg frei macht für schnellere Züchtungsfortschritte.

Chia-Samen liegen schwer im Trend: Aufgrund ihres hohen Gehalts an Proteinen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Ballaststoffen, Mineralstoffen und Antioxidantien landen sie immer häufiger als Zutaten auf dem Speiseplan. Trotzdem ist die Chia-Pflanze Salvia hispanica ein sogenanntes orphan crop: eine Kulturpflanze, die aufgrund ihres geringen und meist auf wenige Regionen beschränkten Anbaus wenig züchterische Aufmerksamkeit erhalten hat. Das könnte sich nun ändern, denn der internationale Blick auf den Welthunger hat sich verschoben: Lange Zeit war das primäre Ziel, möglichst viele Kalorien für die Welternährung zu erzeugen. Doch dabei wurde übersehen, dass durch den Fokus auf nährstoffarme Grundnahrungsmittel wie Reis und andere Getreidesorten sich vielerorts Mangelernährung ausbreitete. Um dem entgegenzuwirken, muss das Spektrum an Nahrungspflanzen verbreitert werden. Und hier kommt die Chia-Pflanze ins Spiel, von der seit kurzem ein hochwertiges und umfassend annotiertes Referenzgenom vorliegt.

Wertvolle Nährstoffe und bioaktive Peptide

#####1#####
Die Chia-Pflanze Salvia hispanica gitl als orphan crop und bekommt bislang wenig züchterische Aufmerksamkeit.

Die Chia-Pflanze Salvia hispanica gitl als orphan crop und bekommt bislang wenig züchterische Aufmerksamkeit.

Bildquelle: © Krzysztof Ziarnek, Kenraiz / Wikimedia; CC-BY-SA-4.0

Chia wird hauptsächlich in Südmexiko und Mittelamerika angebaut. Attraktiv ist die Pflanze nicht nur wegen ihres Nährwerts, sondern auch weil sie auf Grenzertragsböden gedeiht und recht resilient gegen den Klimawandel ist. Außerdem konnten Forscher:innen in Studien verschiedene gesundheitsfördernde Effekte nachweisen: So verbessern Chia-Samen den Lipidgehalt der Muskeln, fördern die Herz-Kreislauf-Gesundheit, sorgen für ein günstigeres Cholesterinverhältnis und entfalten eine krebshemmende Wirkung. Ebenfalls gesundheitlich wertvoll ist das aus den Blättern der Pflanze gewonnene Öl. Es enthält viele sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Hydroxycinnaminsäure-Derivate, Flavonoide und Sesquiterpenoide.

Mit dem Referenzgenom existiert nun eine Grundlage für die Pflanzenzüchtung, viele dieser positiven Eigenschaften noch weiter zu optimieren und die Erträge der Pflanze zu steigern. 48.090 annotierte und proteinkodierende Gene präsentieren die Autor:innen in der Studie, insgesamt 303,6 Megabasenpaare Erbinformation, verteilt auf sechs Chromosomen. Die Annotationen sind vor allem deshalb besonders nützlich, weil die Transkripte auf der gleichen Akzession beruhen, die die Forscher:innen sequenziert haben. Insgesamt sind die Transkripte von 13 unterschiedlichen Geweben und Entwicklungsstadien der Pflanze eingeflossen.

Auch Plastiden- und Mitochondrien-Genome entschlüsselt

157 Gene enthält das rund 150.000 Basenpaare umfassende Plastiden-Genom. Das mitochondriale Genom mit ca. 300.000 Basenpaaren enthält weitere 103 Gene. Die Forscher:innen fanden zudem Hinweise darauf, dass die Chromosomen in 19 Regionen Plastiden-DNA aufgenommen haben. Weitere 20 Regionen scheinen mitochondriale DNA-Sequenzen zu enthalten.

Gut 42 Prozent des Chia-Genoms bestehen dem Referenzgenom zufolge aus repetitiver DNA. Etwa ein Fünftel Gene ist mono-exonisch, die übrigen Gene setzen sich aus mehreren Exons zusammen. Bei gut 44 Prozent der Gene stellten die Forscher:innen fest, dass diese alternativem Splicing unterliegen. Häufig bleiben in solchen Fällen Intron-Sequenzen in der mRNA erhalten.

Hinweise zur Lokalisierung von Proteinen

Weitere Analysen führten zu der Vorhersage, dass 7.455 Proteine Signalpeptide aufweisen, die sie zum Endoplasmatischen Reticulum, zu Chloroplasten oder Mitochondrien dirigieren. 9.961 Proteine enthalten sogenannte Transmembran-Domänen. Auffallend hoch im Vergleich zu den Genomen der verwandten Tomate oder der Modellpflanze Arabidopsis thaliana ist die Zahl der 799 tRNA-Gene.

#####2#####
Chia-Samen erfreuen sich auch in der europäischen Küche wachsender Beliebtheit.

Chia-Samen erfreuen sich auch in der europäischen Küche wachsender Beliebtheit.

Bildquelle: Valeria / Pixabay; Pixabay Content License

Erwartungsgemäß ist die konservierte Syntänie zwischen Chia und Tomate größer als zwischen Chia und A. thaliana: Bei ersterer finden sich 7.334 orthologe Gene in derselben chromosomalen Anordnung, bei letzterer nur 2.282. Verglichen die Forscher:innen das Genom mit den eng verwandten Arten Basilikum, Minze, Sesam und Tomate sowie A. thaliana, so waren 9.298 Gene in allen Genomen vorhanden. Insgesamt weisen die sechs Arten zusammen 76.095 unterschiedliche Gene auf. 18.861 Genfamilien-Cluster werden von mindestens zwei Arten geteilt.

2.707 Gene für pharmazeutisch interessante Peptide identifiziert

Besonders an der Genom-Studie ist aber vor allem die in silico-Analyse kleiner bioaktiver Peptide. Viele dieser pflanzlichen Peptide haben eine pharmakologische Wirkung, von rund 4.000 bioaktiven Peptiden ist die Sequenz bekannt. Die Forscher:innen fanden beim Datenbankabgleich  im Chia-Proteom 697 Peptide, die mutmaßlich als ACE-Inhibitoren fungieren und damit z.B. gegen Bluthochdruck wirken können. Weitere 322 Peptide lassen sich in ihrer Funktion Dipeptidylpeptidase-Hemmern zuordnen und wären bei der Behandlung von Diabetes Typ II unter Umständen hilfreich. Insgesamt waren in den Samen 2.707 Gene hochreguliert, die mit 18 unterschiedlichen gesundheitlich relevanten Funktionen von bioaktiven Peptiden zusammenhängen.

Weg frei für Züchtung und Forschung am Genom

Für weitere Forschungs- und Züchtungsarbeiten am Genom dürften die rund drei Millionen SNPs und 15.380 Mikrosatelliten als Marker nützlich sein, die das nun erstellte Referenzgenom aufweist.

Bereits zuvor hatten drei andere Arbeitsgruppe jeweils ein Chia-Genom publiziert. Das nun vorliegende Genom weist mit einem davon eine sehr hohe Übereinstimmung auf. Die anderen beiden Genome sind 50 bis 60 Megabasenpaare größer. Rund 23.000 Gene stimmen in allen vier Assemblierungen überein. Etwa 5.300 Gene konnten nur in der jüngsten Arbeit annotiert werden. Für die künftige Arbeit am Chia-Genom empfehlen die Forscher:innen dringend, die Bezeichnungen für Gene und Chromosomen zu harmonisieren. Als Grundlage dafür haben sie ihre Resultate und weitere verfügbare Annotationen in der Salvia Genomics Database öffentlich zugänglich gemacht.


Quelle:
Gupta, P., et al. (2023): „Reference genome of the nutrition-rich orphan crop chia (Salvia hispanica) and its implications for future breeding.“ In: Frontiers in Plant Science, 14:1272966 (14.12.2023). doi: 10.3389/fpls.2023.1272966.

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Chia-Samen in der Vergrößerung. (Bildquelle: © Public Domain)