Schon gewusst? Ein Gen kann alles verändern

Über die Stabilität von Ökosystemen

19.04.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ein einzelnes Gen kann ein ganzes Ökosystem beeinflussen. Das zeigt ein Laborexperiment mit einer Pflanze und dem dazugehörigen Ökosystem von Insekten. (Bildquelle: © Matthias Furler)

Ein einzelnes Gen kann ein ganzes Ökosystem beeinflussen. Das zeigt ein Laborexperiment mit einer Pflanze und dem dazugehörigen Ökosystem von Insekten. (Bildquelle: © Matthias Furler)

Ein einzelnes Pflanzengen kann Auswirkungen darauf haben, wie sich die Insektenpopulation eines ganzen Ökosystems entwickelt. Das fanden Wissenschaftler:innen der Universität Zürich und der Universität von Kalifornien heraus. Solche „Schlüsselgene“ haben das Potenzial, Ökosysteme in Zukunft stabiler und widerstandsfähiger zu machen und den Biodiversitätsverlust aufzuhalten. Oder umgekehrt!

Ökosysteme sind komplexe Beziehungsgefüge zwischen Lebewesen wie Tieren und Pflanzen sowie dem Lebensraum, den sie sich teilen. Heute sind viele Ökosysteme bedroht, sei es durch den anthropogenen Klimawandel oder das Aussterben wichtiger Tier- und Pflanzenarten. Daher gewinnt die Frage an Bedeutung, wie sich Ökosysteme langfristig schützen lassen.

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Versuchsanordnung mit den experimentellen Ökosystemen.

Versuchsanordnung mit den experimentellen Ökosystemen.

Bildquelle: © Matt Barbour

Tierische Schlüsselarten sorgen für stabile Ökosysteme

Dass einige Tierarten für den Erhalt von Ökosysteme besonders wichtig sind, ist seit den späten 1960er Jahren bekannt. Dabei nehmen die sogenannten Schlüsselarten unterschiedliche Rollen ein. Raubtiere wie der Seestern (Pisaster ochraceous) kontrollieren die Populationen ihrer Beutetiere. Das grenzt die Konkurrenz zwischen den Arten ein und ermöglicht ihre langfristige Koexistenz.

Andere Schlüsselarten wie der Biber erschaffen Habitate. Durch ihre Staudämme entstehen Teiche und Feuchtgebiete, die als Lebensräume für andere Arten dienen. So steigern Biber (Castoridae) die Biodiversität in Gewässern und Uferbereichen. Doch welche Rolle spielen Pflanzen? Und kann selbst ein einziges Pflanzengen die Stabilität eines Ökosystems und die darin lebenden Arten beeinflussen?

Mutation von Pflanzengen beeinflusst interagierende Arten

Dieser Frage sind Forscher:innen aus den Fachgebieten Ökologie und Genetik der Universitäten Zürich und Kalifornien nachgegangen. Das Forschungsteam hat untersucht, wie ein experimentelles Ökosystem – bestehend aus der genetischen Modellpflanze Arabidopsis thaliana, zwei pflanzenfressenden Blattläusen und einer parasitären Wespe, dem natürlichen Feind der Blattläuse – auf drei Pflanzengene zur Abwehr von Pflanzenfressern reagiert.

Dabei zeigte sich, dass die Überlebenschancen beider Insektenarten höher war, wenn eines dieser Gene, AOP2, aufgrund einer Mutation nicht mehr funktionierte. Matt Barbour von der Universität Zürich erklärt: „Diese natürliche Mutation im AOP2-Gen beeinflusste nicht nur die Chemie der Pflanze, sondern ließ sie auch schneller wachsen. Das wiederum förderte die Koexistenz von Pflanzenfressern und Raubtieren und verhinderte so den Zusammenbruch des Ökosystems.“ Somit kann AOP2 als Schlüsselgen dieses experimentellen Ökosystems bezeichnet werden.

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Funktioniert das AOP2-Gen der Pflanze aufgrund einer Mutation nicht, wird die Koexistenz von Blattläusen und parasitären Wespen gefördert.

Funktioniert das AOP2-Gen der Pflanze aufgrund einer Mutation nicht, wird die Koexistenz von Blattläusen und parasitären Wespen gefördert.

Bildquelle: © Matt Barbour

Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen durch gezielten Einsatz von Genmutationen steigern

Die Rolle einzelner Gene, nicht nur einzelner Arten, ist also wichtiger als bisher bekannt, wenn es darum geht, Ökosysteme zu stabilisieren und ihre Artenvielfalt zu erhalten. Das kann Vor- und Nachteile haben. Einzelne Gene können katastrophale Kipppunkte sein, deren Mutationen ganze Ökosysteme auf den Kopf stellen.

Im Best-Case-Szenario können Ökosysteme durch die Einführung von Arten mit vorteilhaften Genen robuster gemacht oder sogar gestärkt werden. Im Worst-Case-Szenario wird jedoch jede kleinste genetische Mutation – egal, ob beabsichtigt oder nicht – zu biologischem Russisch Roulette: Ist das Gen nicht systemrelevant, passiert nichts. Mutiert jedoch ein Schlüsselgen, kann eine Kettenreaktion in Gang gesetzt werden, an deren Ende das ganze Ökosystem zusammenbricht.


Quelle:
Barbour, M.A., Kliebenstein, D.J. und Bascompte, J. (2022): A keystone gene underlies the persistence of an experimental food web. In: Science, 376(6588):70-73, (31. März 2022), doi: 10.1126/science.abf2232.

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Titelbild: Ein einzelnes Gen kann ein ganzes Ökosystem beeinflussen. Das zeigt ein Laborexperiment mit einer Pflanze und dem dazugehörigen Ökosystem von Insekten. (Bildquelle: © Matthias Furler)