Teamplayer gesucht

Zwischen individueller Fitness und maximalem Flächenertrag besteht ein Zielkonflikt

03.01.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

In Getreidefeldern verschatten sich die Pflanzen gegenseitig – starke Individuen sind daher nicht unbedingt günstig für den Flächenertrag eines Ackers. (Bildquelle: © Kira / Pixabay)

In Getreidefeldern verschatten sich die Pflanzen gegenseitig – starke Individuen sind daher nicht unbedingt günstig für den Flächenertrag eines Ackers. (Bildquelle: © Kira / Pixabay)

Besonders kräftige Pflanzen können bei dichter Aussaat ihre Nachbarn im Wachstum behindern und damit den Flächenertrag senken. Teamplayer sind gefragt! Aber wodurch zeichnen sie sich aus? Für Weizen gibt es dazu jetzt einige Hinweise.

Survival of the fittest – das Überleben des Bestangepassten: Seit Charles Darwin gilt das als eines der wesentlichen Prinzipien der Evolution. Auch Pflanzen folgen in ihrer Evolution diesem Muster: Individuen, die sich besonders viele Ressourcen sichern können, haben meist einen größeren Fortpflanzungserfolg als jene, die mit weniger Licht, Wasser oder Nährstoffen haushalten müssen. Doch was in der freien Natur gilt, lässt sich nicht 1:1 auf den Acker übertragen. Hier gelten zumindest teilweise andere Regeln: „Rücksichtslose“ Einzelkämpfer sind nicht unbedingt die beste Wahl für einen optimalen Flächenertrag.

Fitness versus Gemeinschaftssinn

Wie unterscheiden sich Elitesorten und deren wilde Verwandte, wenn sie unter üblichen Anbaubedingungen wachsen? Oder anders gesagt: Welche Merkmale tragen nur zur individuellen Fitness einer Pflanze bei und von welchen Eigenschaften profitiert eher die gesamte Kulturpflanzengemeinschaft im Feld? Diesen Fragen sind Forscher:innen des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben (IPK) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg nachgegangen.

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Noch behindern sich die jungen Weizenpflanzen nicht gegenseitig. Aber mit zunehmenden Wachstum konkurrieren die einzelnen Pflanzen um Licht, Wasser und Nährstoffe.

Noch behindern sich die jungen Weizenpflanzen nicht gegenseitig. Aber mit zunehmenden Wachstum konkurrieren die einzelnen Pflanzen um Licht, Wasser und Nährstoffe.

Bildquelle: © GoranH / Pixabay

Fokussiert hat sich das Team auf den Faktor Licht, da im kommerziellen Anbau idealerweise keine Knappheit an Nährstoffen oder Wasser herrscht. Die dichten Saatabstände hingegen bewirken, dass um die Ressource Licht stark gekämpft wird. Daher verglich die Studie den Durumweizen Svevo, den Wilden Emmerweizen Zavitan und daraus gezüchtete Introgressionslinien, jeweils bei normalen und bei eingeschränkten Lichtverhältnissen.

Zielkonflikte vorprogrammiert

Bereits im Vorfeld der Studie war klar, dass es zwischen individueller Fitness und bestem Nutzen für die Gemeinschaft Zielkonflikte geben muss. Der Idealtyp einer „gemeinschaftsverträglichen“ Getreidepflanze ist in der Literatur bisher so definiert: eine eher geringe Höhe und Bestockung (Verzweigungsgrad am Stängelgrund), hoch fruchtbare Blütenstände und wenige aufgerichtete Blätter. Auch ohne diese Zusammenhänge zu kennen, hat die Züchtung über die Jahrhunderte wohl einen derartigen Phänotyp unwissentlich favorisiert, indem sie auf hohe Flächenerträge bei dichter Aussaat selektiert hat. Dabei dürfte sie dem ersten Zielkonflikt begegnet sein, der bei Mais gut dokumentiert ist: Je dichter der Anbau, desto geringer die Wuchshöhe - und die geringere Wuchshöhe bewirkte zunächst einen deutlichen Ertragsverlust. Nur die permanente Selektion auf hohen Flächenertrag hat dann Schritt für Schritt dazu geführt, dass die Erträge wieder stiegen.

Bei Weizen weiß man, dass es dabei zu folgender Entwicklung kam: Die Blattflächen wurden größer und dünner, die Zahl der Bestockungstriebe sank und die Biomasse nahm ab. Letzteres resultierte unter dem Strich in weniger Körnern pro Ähre. Damit ähneln die Effekte des dichten Anbaus denen bei Lichtmangel – was zur aktuellen Studie zurückführt.

Gezielte Ressourcennutzung als Schlüssel

Wie erwartet kennzeichneten den Wilden Emmer unter normalen Lichtverhältnissen ein hoher Wuchs mit vielen Bestockungstrieben und großer Biomasse. Unter Verschattung verringerte der Emmerweizen seine Höhe, nicht aber seine Biomasse. Dafür enthielten die Ähren weniger Körner mit reduziertem Gewicht. Anders der Durumweizen: Er zeigte ein stabiles Höhenwachstum, eine reduzierte Biomasse und eine größere Zahl von Körnern mit höherem Korngewicht.

Der relative Lichteinfluss auf Körnergröße und -anzahl war beim Emmer aber geringer als beim Durumweizen – wohl ein Hinweis auf die größere Fitness unter kompetitiven Bedingungen und bei unterschiedlichen Umwelteinflüssen. Dies ermöglicht einen stabileren Fortpflanzungserfolg auf Kosten des Ertragspotenzials. Die Verschattung bewirkte beim Durumweizen hingegen eine Verschiebung der Ressourcen: Von der geringeren Biomasse der Spreu profitierte das Kornwachstum und die geringere Wuchshöhe wurde von stärkerem Ährenwachstum begleitet. Darin zeigte sich vermutlich die Anpassung an hohe Wuchsdichten.

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Licht ist auf einem gut gedüngten Acker meist die limitierende Ressource für das Pflanzenwachstum.

Licht ist auf einem gut gedüngten Acker meist die limitierende Ressource für das Pflanzenwachstum.

Bildquelle: © Anrita1705 / Pixabay

Generell erwiesen sich die Biomasse der Ähre des Haupthalms und die Anzahl der Bestockungstriebe während des Stängelwachstums als besonders egoistische Fitnessmerkmale bei allen Lichtverhältnissen. Bei Lichtmangel deuteten verlängerte Laminae und eine hohe Biomasse in Relation zur Höhe auf eine hohe individuelle Fitness hin. Beides erhöht allerdings die Verschattung für benachbarte Pflanzen und beeinflusst die Gemeinschaft somit negativ.

Selektionsbedingungen bei der Züchtung anpassen

Kooperative Merkmale sind der Studie zufolge eine geringe Größe des vegetativen Sprosses und das größere Verhältnis der Länge des Haupthalms zu seinem Gewicht - womöglich, weil dadurch weniger Ressourcen in kompetitive Strukturen wie Blätter und Stängel fließen. Auch wenn die Zahl der Körner einer Ähre kein direkt kooperatives Merkmal darstellt, so ist sie den Fachleuten zufolge – gemessen unter Verschattung – ein verlässlicher Indikator für den Kornertrag der Pflanzengemeinschaft.

Für die Pflanzenzüchtung könnte es nun interessant sein, einzelne Pflanzen unter Verschattung zu untersuchen, um die genetische Basis von „egoistischen“ und „kooperativen“ Merkmale zu identifizieren. Gerade bei der Weizenzüchtung nehmen Züchter oft eine frühe Selektion in den Generationen F2 bis F4 vor. Hier, so die Anregung der Studienautoren, könnte eine künstliche Verschattung dazu beitragen, jene Pflanzen zu identifizieren, die im dichten Feldanbau aufgrund kooperativer Merkmale tatsächlich den höchsten Ertrag erzielen. Ansonsten könnten Pflanzenindividuen mit eher egoistischen Merkmalen zunächst attraktiver erscheinen.

Offene Fragen

Nicht betrachtet hat die Studie unterirdische Einflüsse durch Konkurrenz im Wurzelraum. Offen blieb auch, ob die sechs Anbaureihen bei den Versuchen bereits hinreichend realistisch die Feldbedingungen simulierten, und ob die künstliche Verschattung nicht stärkere Effekte ausgelöst hat, als es das dichte Wachstum im Feld bewirken würde. Doch wenn sich diese Befunde bestätigen, könnte die Pflanzenzüchtung mit dem neuen Wissen das „Fair Play“ auf dem Acker gezielt stärken.


Quelle:
Golan, G., et al. (2022): „Exploring the trade‐off between individual fitness and community performance of wheat crops using simulated canopy shade“. In: Plant, Cell & Environment, 2022; 1-14. doi: 10.1111/pce.14499.

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: In Getreidefeldern verschatten sich die Pflanzen gegenseitig – starke Individuen sind daher nicht unbedingt günstig für den Flächenertrag eines Ackers. (Bildquelle: © Kira / Pixabay)