Zurück in die Zukunft

Renaissance von Emmer und Einkorn

20.07.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Emmer, auch Zweikorn genannt, gehört zu den ältesten kultivierten Getreidearten überhaupt. (Bildquelle: © Rasbak/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)

Emmer, auch Zweikorn genannt, gehört zu den ältesten kultivierten Getreidearten überhaupt. (Bildquelle: © Rasbak/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)

Dinkel, Emmer, Einkorn und Co. zählen zu den sogenannten Urgetreiden. Leider sind sie in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in Vergessenheit geraten und vom Teller verschwunden. Zu Unrecht, wie u. a. Wissenschaftler, Ernährungsexperten und Verbraucher finden. Zwei Forscher aus Deutschland haben sich daher zum Ziel gesetzt, dem entgegenzuwirken. Sie setzen sich für die Renaissance von Emmer und Einkorn ein.

Den meisten dürfte zumindest Dinkel (Triticum aestivum subsp. spelta) noch ein Begriff sein. Anders sieht es mit Einkorn (Triticum monococcum) oder Emmer (Triticum dicoccum) aus. Als Nahrungspflanzen sind sie heute nur noch wenigen in der Bevölkerung bekannt und spielen auch in der Nahrungsmittelproduktion nur noch eine untergeordnete Rolle. Alle drei Urgetreide haben gemein, dass sie im Zuge der Einführung der modernen Landwirtschaft und der Intensivierung der Weizenzüchtung im 20. Jahrhundert immer stärker ins Abseits gedrängt wurden. Nicht anders dürfte es einer Vielzahl anderer Getreidearten in anderen Kulturen ergangen sein, die ebenfalls jüngeren und ertragreicheren Sorten weichen mussten.

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Emmer besitzt zwei Körner pro Ähre, die fest von Spelzen umschlossen sind. Die enorme Höhe (bis zu 1,50 m) bereitet ihm bisweilen Probleme in seiner Standfestigkeit.

Emmer besitzt zwei Körner pro Ähre, die fest von Spelzen umschlossen sind. Die enorme Höhe (bis zu 1,50 m) bereitet ihm bisweilen Probleme in seiner Standfestigkeit.

Bildquelle: © Rasbak/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

Gefangen im Permafrost der Genbanken

60 % des weltweiten Energiebedarfs der Menschen werden heute von fünf Getreidearten gedeckt: Reis (Oryza sativa), Mais (Zea mays), Hirse (Pennisetum glaucum, Setaria italica, Panicum miliaceum,Eleusine coracana), Sorghum (Sorghum bicolor) und Brotweizen (Triticum aestivum). Dass sich unter den kommerziell angebauten Sorten kein Urtyp befindet, ist naheliegend. Wer sie sucht, der findet sie mit Ausnahme von kleinen Anbaubetrieben in der Regel in den Kühlräumen von Genbanken, in denen sie geschützt im Permafrost lagern.

Zu Unrecht, wie die Weizenexperten Friedrich Longin und Tobias Würschum in einer aktuellen Veröffentlichung bemängeln, die sich speziell mit Einkorn und Emmer beschäftigt. Aus ihrer Sicht bergen beide durchaus Potenzial, das auszuschöpfen sich lohnt. Sowohl in kulinarischer als auch in finanzieller Hinsicht. Longin und Würschum sind dabei keineswegs die einzigen und ersten, die sich für ein Revival jener alten Arten einsetzen.

Lust auf mehr Abwechslung

Auch eine wachsende Zahl von Verbrauchern ist sich der Allgegenwärtigkeit des Brotweizens beim Bäcker und im Supermarkt überdrüssig. Sie sehnen sich nach mehr Abwechslung und Vielfalt im Brotkorb und auf dem Pastateller, nach neuen Geschmacksrichtungen und Rezepturen. Doch ist dies leichter gesagt als getan. Schließlich gilt es, bevor die ersten Waren aus Einkorn oder Emmer über die Theke wandern oder im Regal landen, eine nachhaltige und stabile Rohstoffversorgung auf die Beine zu stellen. Denn anders als Brotweizen werden Einkorn oder Emmer nicht an internationalen Rohstoffmärkten gehandelt. Für sie müssten neue regionale Produktions- und Wertschöpfketten mehr oder weniger von Grund auf aufgebaut werden, so die Forscher, die selbst aktiv wurden.

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Einkorn ist relativ anspruchslos in Bezug auf die Qualität des Bodens. Er ist zudem resistent gegen viele Schädlinge und kann sich besser gegen die Konkurrenz von Ackerunkräutern durchsetzen als moderne Weizensorten. Allerdings ist der Ertrag erheblich geringer.

Einkorn ist relativ anspruchslos in Bezug auf die Qualität des Bodens. Er ist zudem resistent gegen viele Schädlinge und kann sich besser gegen die Konkurrenz von Ackerunkräutern durchsetzen als moderne Weizensorten. Allerdings ist der Ertrag erheblich geringer.

Bildquelle: © MEDIACRAT/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

Wer kommt in den Kreis der Auserwählten?

Der erste Schritt bei ihrer Suche nach geeigneten Kandidaten bestand daher zunächst darin, eine Vorauswahl von Sorten, genau genommen Akzessionen, zu treffen, die aller Voraussicht nach mit den klimatischen Bedingungen hierzulande zurechtkommen. Nach ersten Feldversuchen, in denen sie die Kandidaten hinsichtlich ihres Wachstumsverhaltens und ihrer agronomischen Eigenschaften prüften, u. a. im Hinblick auf den Ertrag, den Proteingehalt und die -qualität der Körner, kristallisierten sich 15 Akzessionen heraus, die in den Kreis der Auserwählten aufgenommen wurden. In Anbauversuchen an vier verschiedenen Standorten stellten diese ihr, wenn auch ausbaufähiges, Potenzial unter Beweis.

Emmer und Einkorn im Test

Die Analysen ergaben, dass Emmer durchaus als Basis für die Herstellung einer breiten Produktpalette dienen könnte, wie sie derzeit aus Brotweizen hergestellt wird, während Einkorn wegen seines hohen Gehalts an wertvollen Inhaltsstoffen, u. a. Luteine, Sterylferulate, Vitamin E, sowie aufgrund seines nussigen Aromas explizit als gesundheitsfördernde Alternative beworben werden könnte.

Bevor jedoch der ein oder andere aus dem Kreis der Auserwählten den Weg in den kommerziellen Anbau finden wird, sei jedoch noch Geduld gefragt, mahnen die Forscher. Schließlich müssten sie für den Anbau noch züchterisch optimiert werden. Wichtige Ansatzpunkte sind u. a. die Reduzierung der Wachstumshöhe, die Erhöhung der Stabilität und Standfestigkeit der Halme sowie die Verbesserung des sogenannten „Harvest-Index“, mit dem Fachleute das Verhältnis von geernteten zu nicht nutzbaren Teilen einer Pflanze beschreiben.

Dinkel als Vorbild

Die Forscher räumen ein, dass der Prozess viel Zeit und Geduld erfordere. Positiv stimmen jedoch die Erfahrungen, die in der Vergangenheit mit Dinkel gemacht wurden. Anders als im aktuellen Fall ging die Initiative dabei jedoch nicht von der Wissenschaft aus, sondern von einem Zusammenschluss verschiedener Bäcker aus Süddeutschland, Österreich und der Schweiz, Anfang der 1970er. Sie waren damals auf der Suche nach Wegen, sich von der Konkurrenz abzuheben.

Da Dinkel bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in Süddeutschland weit verbreitet war, sowohl im Anbau als auch als Nahrungsmittel, blieb den Bäckern und Landwirten ein aufwendiger Auswahlprozess wie im Fall von Einkorn und Emmer erspart. Gleichzeitig profitierten sie vom Bekanntheitsgrad und der emotionalen Bindung in der Region zu traditionellen Dinkelrezepten wie z. b. der „Schwäbischen Seele“.

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Auch Dinkel zählt zu den sogenannten Urgetreiden. Seit einigen Jahrzehnten erfreut sich der enge Weizenverwandte wachsender Beliebtheit in der Bevölkerung.

Auch Dinkel zählt zu den sogenannten Urgetreiden. Seit einigen Jahrzehnten erfreut sich der enge Weizenverwandte wachsender Beliebtheit in der Bevölkerung.

Bildquelle: © böhringer friedrich/ Wikimedia.org/ CC BY-SA 2.5

Erfolge der Pflanzenforschung und -züchtung

Anfang der 1980er setzte die Universität Hohenheim ein Züchtungsprogramm auf, das dem Wiedereintritt des Dinkels in den Markt zusätzlichen Rückenwind verschaffte. Den Beteiligten gelang es, aus dem Urgetreide eine ertragreiche Nutzpflanze zu machen. Seit dem Jahr 2000 befinden sich fast ausnahmslos Sorten im Umlauf, die im Vergleich zu jenen in den Genbänken rund 20 % mehr Ertrag liefern, niedrig wachsend sind und dennoch weder an Qualität noch am charakteristischen Phänotyp eingebüßt haben.

Die jahrzehntelange Forschungs- und Züchtungsarbeit spiegelt sich auch in den Stammbäumen der rund ein Dutzend Dinkelsorten wider, die heute kommerziell angebaut werden. Nicht selten führen die Abzweigungen und Verästelungen einer jeden Sorten zu 50 Verwandten und mehr.

Treffpunkt vieler Disziplinen

Bis heute wird in Hohenheim an der Weiterentwicklung des Dinkels geforscht und gearbeitet. Was damals jedoch als rein agrarwissenschaftliches Vorhaben begann, hat sich in den Jahren zu einem interdisziplinären Projekt entwickelt. Heute arbeiten Experten aus unterschiedlichsten Fachrichtungen, der Pflanzenforschung und -züchtung, der Ernährungsforschung und -medizin gemeinsam mit Sozialwissenschaftlern, Marktforschern und Akteuren aus der Lebensmittelwirtschaft zusammen.

Ähnliches schwebt auch Longin und Würschum vor, die mit ihrer Arbeit den Grundstein gelegt haben. Mit Blick auf die Urgetreidearten Einkorn und Emmer steht für sie nun an, geeignete Elternlinien als Ausgangspunkte für die Züchtung zu finden. Gleichzeitig gilt es, parallel dazu mögliche Partner entlang der Wertschöpfungskette zu kontaktieren. Die Arbeit ist ein Paradebeispiel für den Nutzen der Pflanzenforschung und -züchtung.

Wer an dieser Stelle nicht mehr abwarten kann, bis der Stammbäcker von nebenan die ersten Backwaren auf Urgetreidebasis ins Sortiment aufnimmt, dem sei empfohlen, selber aktiv zu werden und den Rührlöffel zu schwingen. Mittlerweile existiert eine Vielzahl von Rezepten bis hin zu fertigen Backmischungen, die zum Probieren einladen.


Quelle: Longin, F., Würschum, T. (2016): Back to the Future – Tapping into Ancient Grains for Food Diversity. In: Trends in Plant Science, (27. Juni 2016), doi.org/10.1016/j.tplants.2016.05.005

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Titelbild: Emmer, auch Zweikorn genannt, gehört zu den ältesten kultivierten Getreidearten überhaupt. (Bildquelle: © Rasbak/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)