Wenn Pflanzen zu Zombies werden

Bakterien imitieren Pflanzenproteine und verhindern Blütenbildung

27.10.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Phytoplasmenbefall: Bei dieser Pflanze führt es zu Blütenmissbildungen, die eine geschlechtliche Fortpflanzung nicht mehr ermöglichen. (Bildquelle: © Alan Lorance)

Phytoplasmenbefall: Bei dieser Pflanze führt es zu Blütenmissbildungen, die eine geschlechtliche Fortpflanzung nicht mehr ermöglichen. (Bildquelle: © Alan Lorance)

Das Phänomen der lebenden Toten ist im Pflanzenreich schon länger bekannt. Spezielle Bakterien, Phytoplasmen, können Pflanzen so manipulieren, dass sie anstelle von Blüten, blattähnliche Strukturen ausbilden. Das ist der Anfang vom Ende: Die Pflanze kann sich nicht mehr selbst fortpflanzen und dient nur noch als Wirt für die Verbreitung der Mikroben. Was dabei auf molekularer Ebene abläuft, konnten Forscher detaillierter aufklären. Der Erfolg der Bakterien liegt in einer Proteine-Struktur begründet, die gewissen pflanzlichen Eiweißen ähnelt. Die Bakterien-Eiweiße binden an die pflanzlichen Counterparts und steuern diese um.  

Man stelle sich eine gesunde Pflanze mit schönen Blüten vor. Eines Tages landen Insekten, bestimmte Zikaden, auf der Pflanze und beginnen an ihr zu saugen. Die Insekten an sich schaden ihr nicht nachhaltig, sie sind jedoch der Bote für unheilbringende Bakterien. Die übertragenen Phytoplasmen siedeln sich im Phloem der Pflanze an. Ihnen gelingt es, die Pflanzenentwicklung neu zu programmieren: Wo einst Blütenblätter die Bestäuber anlockten, werden nun grün gefärbte, blattartigen Strukturen ausgebildet. Ein Phänomen, das man Phyllodie nennt.

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Der Befall mit Phytoplasmen bewirkt, dass die Pflanzen (hier: Astern) anstelle von Blüten (oben links), verkümmerte Blattstrukturen (oben rechts) sowie vegetative Triebe (unten) ausbilden.

Der Befall mit Phytoplasmen bewirkt, dass die Pflanzen (hier: Astern) anstelle von Blüten (oben links), verkümmerte Blattstrukturen (oben rechts) sowie vegetative Triebe (unten) ausbilden.

Bildquelle: © Alan Lorance

Das sieht nicht nur ungewöhnlich aus, sondern hat auch verheerende Konsequenzen für die Pflanze. Sie kann zwar weiterleben und Photosynthese betreiben, sich aber nicht mehr normal vermehren. Meist werden sie steril und können keine Samen mehr bilden. „Diese Pflanzen werden zu lebenden Toten, die nur noch zur Verbreitung der Bakterien dienen“, veranschaulicht der Genetiker Prof. Dr. Günter Theißen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Wissenschaftler nennen die infizierten Pflanzen daher auch „Zombies“.  

Infektion durch geschickte Trickserei

Phytoplasmen sind parasitär lebende Bakterien, die keine Zellwand besitzen. Sie sind ohne ihren Wirt nicht lebensfähig, da ihnen wichtige Gene zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels fehlen. Sie haben sogar eines der kleinsten bisher bekannten Bakterien-Genome. Um zu überleben, haben sie eine besondere Taktik gewählt: die der Nachahmung (Mimikry).

Forscher entdeckten, dass eines ihrer Proteine mit dem Namen „SAP54“ an spezielle, hoch konservierte MADS-box Proteine andockt. Das ist insofern verwunderlich, da diese Eiweiße recht wählerisch sind, somit nicht mit allen Proteinen interagieren. Sie bevorzugen ihresgleichen. Diese Strukturen gelten im Pflanzenreich als konserviert, d. h. sie sind nahezu unverändert in unterschiedlichen Pflanzenspezies anzutreffen.

Das motivierte ein Forscherteam der Universität Jena, die Struktur des bakteriellen Proteins „SAP54“ genauer zu untersuchen.

Mit Ähnlichkeit zum Erfolg

In Computersimulationen modellierten sie die primäre und dreidimensionale Struktur des Eiweißes. Es ähnelt der Struktur eines Transkriptionsfaktors in der Pflanze, der eine spezifische Andockstelle für die DNA hat (MADS-Domänen-Protein) und gemeinsam mit anderen Proteinen einen regulatorischen Komplex bildet, der für eine normale Blütenentwicklung sorgt. Das bakterielle Protein faltet sich, dreidimensional betrachtet, ähnlich und gerät daher nicht auf den Radar des pflanzlichen Immunsystems. Das Protein kann so an Eiweiße in der Pflanzenzelle binden, die wichtige Entwicklungsprozesse – in diesem Fall die Blütenbildung – steuern und so die Pflanze nachhaltig schädigen.

Die Ähnlichkeit brachte die Forscher zu der These, dass es sich hier um eine Form der molekularen Mimikry handelt, bei der die Bakterien die molekulare Ausstattung der Pflanzen imitieren. Die genaue Struktur des Proteins müsste nun in weiteren Untersuchungen an den Proteinen selbst bestätigt werden.  

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Florian Rümpler ist Erstautor der aktuellen Publikation, in der Genetiker der Uni Jena erklären, wie Phytoplasmen den Lebenszyklus von Pflanzen zerstören.

Florian Rümpler ist Erstautor der aktuellen Publikation, in der Genetiker der Uni Jena erklären, wie Phytoplasmen den Lebenszyklus von Pflanzen zerstören.

Bildquelle: © Jürgen Scheere/FSU

Woher rührt diese starke Ähnlichkeit von Pflanzen- und Bakterien-Protein?

„Denkbar wäre, dass beide Eiweiße auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen“, erläutert Florian Rümpler, der Erstautor der Publikation. „Wir vermuten jedoch etwas anderes.“ Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich das Bakterien-Protein erst im Lauf der Evolution dem Pflanzen-Protein angeglichen hat. Es wäre also eine Art Koevolution. Sie vermuten dies, weil die Struktur des Bakterien-Proteins weder mit andern Phytoplasmen-Proteinen übereinstimmt, noch in entfernt verwandten Bakterien zu finden ist. Es könnte sein, dass der Ursprung der erfolgreichen Struktur bei einem Insekt zu suchen ist. Ein horizontaler Gentransfer von einem Insekt auf das Bakterium könnte die für Bakterien ungewöhnliche Struktur erklären, so die Forscher.

Die molekularen Mechanismen, die zu der heutigen Form von SAP54 geführt haben, sind bisher noch unklar und bedürfen zur Aufklärung weiterer Forschung. Offen bleibt auch die Frage, warum die Pflanze sich nicht ebenfalls weiter angepasst hat, um dem Eindringling Paroli zu bieten. Vielleicht war es den Pflanzen nicht möglich, weil die Bakterien sich Proteine ausgesucht haben, die eine zu wichtige Funktion in der Entwicklung haben – hochkonservierte Strukturen verändern sich in der Pflanze aus Selbsterhaltungsgründen nicht.

Wissen für die Grundlagenforschung nutzen

Praktische Implikationen sind aus den neuen Erkenntnissen derzeit schwierig abzuleiten. „Auch wenn wir den Infektionsprozess jetzt besser verstehen, haben wir bislang keine Möglichkeit, diesen zu verhindern“, sagt Theißen. Allerdings hat das Studium von Wirt-Pathogen-Interaktionen immer wieder wichtige Hinweise für die Pflanzenphysiologie und Entwicklungsbiologie geliefert. Daher sehen die Forscher auch hier einen vielversprechenden Ansatz, um die Blütenbildung in Pflanzen im evolutionären Kontext besser zu verstehen und zu nutzen. Schließlich sind es die Blüten, die bei vielen Kulturpflanzen die Basis für den späteren Ertrag liefern.


Quelle:
Rümpler, F. et al. (2015): Did convergent protein evolution enable phytoplasmas to generate ‘zombie plants’?. In: Trends in Plant Science, (online 10. Oktober 2015), doi: 10.1016/j.tplants.2015.08.004.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Phytoplasmenbefall: Bei dieser Pflanze führt es zu Blütenmissbildungen, die eine geschlechtliche Fortpflanzung nicht mehr ermöglichen. (Bildquelle: © Alan Lorance)