Bessere genetische Durchmischung
Das Projekt „HERBY“
Einige biologische Prozesse sind so wichtig für das Überleben, dass sie im Laufe der Evolution fast unverändert blieben. Die Meiose zählt dazu. Es ist eine spezialisierte Zellteilung, die in den meisten sich sexuell fortpflanzenden eukaryotischen Arten stattfindet. Und doch könnte sie ein Hebel sein, um gezielt neue genetische Vielfalt zu erzeugen – zum Vorteil der Züchtung. Das Potenzial davon hat das Forschungsprojekt „HERBY“ bei Gerste untersucht.
Die Meiose ist die Voraussetzung für die geschlechtliche Fortpflanzung. Bei diesem Zellteilungsprozess bilden sich die Geschlechtszellen (Pollen und Eizellen) von Pflanzen. Aus einer Mutterzelle entstehen vier Tochterzellen mit jeweils einem einfachen Chromosomensatz.
Doch nicht nur das: Dieser Vorgang sorgt auch für genetische Vielfalt, denn dabei kommt es zur Durchmischung der Erbinformation der Eltern. Man spricht dann von meiotischer Rekombination. Wenn bei der „Umverteilung“ zwischen den homologen Chromosomen – also dem männlichen und dem weiblichen Chromosom – wechselseitig Chromosomenteile ausgetauscht werden, nennt man das Crossing-over. Die genetische Durchmischung bei der Meiose ist der Grund, warum jeder Nachkomme sich von seinen Eltern unterscheidet.
Auch Pflanzenzüchtungsprogramme sind auf genetische Vielfalt angewiesen. Sie wird genutzt, um positive Pflanzeneigenschaften in den Nachkommen zu vereinen. Doch die Rekombinationsraten bei der Meiose sind bei Arten, Populationen, Individuen oder Chromosomenregionen sehr unterschiedlich. Speziell bei Getreidepflanzen wie Gerste (Hordeum vulgare) ist der Austausch genetischer Informationen zwischen den Chromosomen unterdurchschnittlich und nur auf bestimmte Chromosomenregionen beschränkt.
Ziel: Das Gerstengenom soll besser „durchmischbar“ werden
„Weil große Bereiche der Chromosomen, in denen bei der Gerste etwa 30 Prozent aller Gene liegen, nahezu nie durch Crossing-over-Ereignisse durchmischt werden, bleibt ein Teil der natürlich verfügbaren genetischen Variation für die Züchtung ungenutzt“, erklärt Pflanzenforscher Dr. Stefan Heckmann.
„Mit unserem Projekt HERBY haben wir daher versucht, die zugrunde liegenden Mechanismen der meiotischen Rekombination bei der Gerste besser zu verstehen und auch warum die meiotische Rekombination bei dieser Pflanzenart so eingeschränkt ist. Darüber hinaus wollten wir nach Möglichkeiten suchen, das zu verändern“, fasst Projektleiter Heckmann die Ziele zusammen. Dafür musste die Gruppe zunächst einige Methoden in der Gerste etablieren, die für die Untersuchungen wichtig waren.
HERBY lief im Zeitraum von 2016 bis 2021 und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“ gefördert. Im Rahmen des Projektes und der Bewilligung einer Nachwuchsforschergruppe konnte Stefan Heckmann die unabhängige Arbeitsgruppe „Meiose“ am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben aufbauen.
Vorgehen – der Meiose auf der Spur
Das Projektteam pflanzte zunächst Gerste im Gewächshaus an. Die Ähren waren das primäre Untersuchungsobjekt der Forschungsgruppe, denn hier kommt es bei den Getreiden zur Meiose und damit zur Bildung von Gameten, also Pollen und Eizellen. Da Gerste ein Selbstbefruchter ist, befruchten die eigenen Pollen gleich auch die Eizellen. Daraus entwickeln sich die Samenkörner, die später in den fertig ausgebildeten Ähren sitzen.
Meiose live verfolgen
Um einen detaillierten Einblick in die einzelnen Zellen und die Abläufe während der Meiose bei der Gerste zu bekommen, setzte das Team unterschiedliche Mikroskopietechniken ein. So betrachteten sie beispielsweise wo sich die Proteine in den Zellkernen befinden, zählten die Chromosomen oder markierten durch fluoreszierende Farbstoffe bestimmte DNA-Bereiche, um sie besser überwachen zu können.
Durch die zytologischen Methoden war es dem Team möglich, zu beobachten, wie sich die Chromosomen während der unterschiedlichen Phasen der Meiose verhalten. Und das gelang dem Projektteam durch Weiterentwicklung der Methoden auch in Echtzeit.
Nach Etablierung dieser „Überwachungstools“ konnten sie den nächsten Schritt angehen: Den Blick ins Genom. Denn erst durch die Sequenzierung der Nachkommen kann erkannt werden, welche Teile der Chromosomen tatsächlich ausgetauscht wurden. Danach schloss sich die Frage an, welche genetischen Komponenten die Rekombinationsraten bestimmen.
Meiose-Gene finden
In Modellpflanzen wie der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) wurden bereits einige Gene und Proteine identifiziert, die die meiotische Rekombination beeinflussen und eine Rolle bei der Anzahl der Crossing-over-Ereignisse spielen. Das Projektteam wollte daher wissen, ob diese Gene auch in der Gerste vorkommen und hier analog wirken.
Es stellte sich heraus, dass diese Gene auch in Gerste anzutreffen sind. Ihre Funktion in der Gerste überprüften die Forscher:innen dann mithilfe von Mutanten, die das Team durch die Genschere CRISPR/Cas9 und TILLING erzeugten oder aber durch die Überexpression ausgesuchter Gene. In den Mutanten waren Faktoren, die möglicherweise einen Einfluss haben, entweder gehemmt oder überexprimiert.
Einzelne Pollen analysiert
Entscheidend war dabei, wie sich die Veränderungen auf die Rekombination auswirken. Die Rekombinationsrate lässt sich durch genetische Analysen der Nachkommen bestimmen. Das würde aber bedeuten, dass im Gewächshaus eine große Zahl von Keimlingen herangezogen werden müssten. Um das zu umgehen, wendete das Team einen Trick an: Sie analysierten stattdessen einfach den Pollen, also das Produkt der „männlichen Meiose“.
Auf früheren Arbeiten aufbauend gelang es dem Team, Einzelpollenkern-Genotypisierungen mithilfe einer speziellen Form der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) erfolgreich im Hochdurchsatz durchzuführen (Ahn et al., 2021). Damit konnten sie die meiotische Rekombinationsrate in den Gameten vor der Befruchtung messen.
Genetische Ansatzpunkte identifiziert
„So konnten wir zeigen, dass genetische Faktoren, die meiotische Rekombination in der Ackerschmalwand limitieren, in der Gerste so mutiert werden können, dass höhere Rekombinationsraten erzielt werden können“, sagt Heckmann. So konnte beispielsweise mittels der Inaktivierung vom Gen RECQ4 die meiotische Rekombinationsrate abhängig vom untersuchten Chromosomenbereich mehrfach erhöht werden.
Ein untersuchtes Gen (HEI10) war in der Gerste für 90 Prozent der Rekombinationsereignisse verantwortlich. Hier bietet sich ein interessanter Ansatzpunkt für weitere Forschung: In Pflanzen heterozygot für hei10 (nur eine intakte Kopie des Gens) war eine verminderte Anzahl an Crossing-over-Ereignissen zu finden, d. h. dieses Gen reguliert dosisabhängig die Anzahl der Rekombinationsereignisse. Somit wurden Gerstenpflanzen mit zusätzlichen Kopien von HEI10 erzeugt. Im nächsten Schritt muss nun getestet werden, ob ein gezielt höherer Proteingehalt in der Zelle durch Überexpression auch mehr Crossing-over-Ereignisse in Gerstenpflanzen hervorrufen würde.
„Eins der Gene führte aber – anders als bei der Ackerschmalwand – bei der Gerste zu Fehlern in der Meiose und einer Verminderung der meiotischen Rekombination. Weiterhin war bei einer anderen Mutante sogar die Rekombination komplett unterbunden“, beschreibt Heckmann die Ergebnisse weiter. Das ist insofern fatal, weil Fehler in der Meiose zur Unfruchtbarkeit der Pflanze führt. „Diese Ansätze waren dann im wahrsten Sinne des Wortes ein dead end“, kommentiert Heckmann.
Natürliche Biodiversität bei der Gerste im Blick
Neben modernen Gerstenlinien hat das Team die Rekombinationsraten auch bei Landrassen und Wildgersten mit einem populationsgenetischen Ansatz untersucht. Die Frage war, ob auch die Vorgänger der heute angebauten Gerstensorten diesen geringen genetischen Austausch aufweisen.
Obwohl die Rekombinationsraten von wilder und domestizierter Gerste sehr ähnlich sind, gab es Unterschiede, an welchen Stellen der Chromosomen die Rekombinationsereignisse stattfanden. „Wir konnten auch sehen, dass es natürliche Variationen in den Rekombinationshäufigkeiten gibt und dass diese durch Domestikation geformt wird“, legt Heckmann dar (Dreissig et al., 2019).
„Auch die Umwelt, beispielsweise die Temperatur, hat einen Einfluss darauf“, ergänzt Heckmann. So wurde unter anderem eine positive lineare Korrelation zwischen der Rekombinationsrate und dem jährlichen Niederschlag gefunden.
Es wäre also möglich, Gerste bestimmten förderlichen Umweltbedingungen auszusetzen und so eine bessere genetische Durchmischung hervorzurufen. Das könnte wiederum für Zuchtprogramme nutzbar gemacht werden, so die Hoffnung.
Weitere Forschung gesichert
HERBY hat die methodischen Grundlagen geschaffen, mit denen der Prozess der Meiose bei der Gerste untersucht werden kann. Es wurden wichtige genetische Faktoren identifiziert, die die Rekombinationsrate beeinflussen. Der nächste Schritt wäre nun die Umsetzung des neuen Grundlagenwissens in der praktischen Züchtung. Die Gruppe um Heckmann forscht jedenfalls weiter an der Meiose: Unter anderem ein Starting Grant vom European Research Council (ERC) ermöglicht es ihnen, die Arbeit fünf Jahre lang fortzusetzen, im Forschungsprojekt MEIOBARMIX.
Ausgewählte Publikationen aus dem Projekt:
- Lambing, C. und Heckmann, S. (2018): Tackling Plant Meiosis: From Model Research to Crop Improvement. In: Front. Plant Sci., (19. Juni 2018), doi: 10.3389/fpls.2018.00829.
- Dreissig, S., Mascher, M. und Heckmann, S. (2018): Variation in Recombination Rate Is Shaped by Domestication and Environmental Conditions in Barley. In: Molecular Biology and Evolution, (18. Juni 2019), doi: 10.1093/molbev/msz141.
- Ahn, Y.-J. et al. (2021): High-throughput measuring of meiotic recombination rates in barley pollen nuclei using Crystal Digital PCRTM. In: The Plant Journal, (5. Mai 2021), doi: 10.1111/tpj.15305.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Meiose „im Klimawandel“ - Steigende Temperaturen beeinflussen die Zellteilung
- Natürlich schneller - Erhöhte Rekombinationsrate soll Kreuzungszüchtung optimieren
- Vielfalt wird sichtbar - Pangenome von Weizen und Gerste ebnen den Weg für die nächste Generation neuer Sorten
Titelbild: Die Ähren waren das primäre Untersuchungsobjekt der Forschungsgruppe, denn hier kommt es bei den Getreiden zur Meiose. (Bildquelle: © IPK Leibniz-Institut/Heckmann)
PLANT 2030 vereint die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsaktivitäten im Bereich der angewandten Pflanzenforschung. Derzeit umfasst dies die nationalen Förderinitiativen: „Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie“ und „Bioökonomie International“. Weitere Informationen finden Sie unter: PLANT 2030