Domestikation von Pflanzen: Ein Prozess seit Jahrtausenden
Kultivierung weiterer Wildpflanzen wird immer wahrscheinlicher
Ein Prozent der 250.000 bekannten Arten von Blütenpflanzen gelten heute als Nutzpflanzen. Sie sind Ergebnis eines Prozesses, der die Menschheit und die Welt für immer verändert hat, bis heute aber noch immer nicht völlig verstanden ist: die Domestizierung von Wildpflanzen.
Es ist schwierig zu sagen, wann die allerersten Versuche unternommen wurden, das Wachstum und die Eigenschaften ausgewählter Pflanzenarten gezielt zu fördern beziehungsweise zu verändern. Vor 12.000 Jahren, vor 20.000 oder gar früher? Sicher ist, dass ab dem Zeitpunkt von vor 10.000 Jahren an mehreren, weit voneinander entfernten Orten der Welt bestimmte Pflanzenarten begannen vorzuherrschen. Im Fruchtbaren Halbmond im Nahen Osten waren es u. a. Weizen, Gerste, Linsen und Leguminosen, in Asien Reis und Soja, in Amerika Mais und Bohnen.
Domestikationserfolg hängt von vielen Faktoren ab
Nach wie vor ist die Wissenschaft beschäftigt, den Prozess der Domestikation in seiner Ganzheit zu verstehen. Es geht dabei heute vor allem um die einzelnen Faktoren, deren Einfluss und Gewicht, die man zu einem großen Ganzen zusammenzusetzen versucht. Neben geografischen und kulturellen Aspekten zählen dazu u. a. der Lebenszyklus von Pflanzen, ihre Reproduktionsweise und die genetischen Hintergründe. Heute weiß man, dass einjährige Pflanzenarten viel früher und insgesamt häufiger domestiziert worden sind als mehrjährige und dass asexuelle Arten wie Süßkartoffel, Maniok oder Banane Vorteile bei der Kultivierung boten, wenn man erst einmal ihre Reproduktion durchschaut hatte.
Bei der Domestizierung spielen viele Gene eine Rolle
Es geht bei der Rekonstruktion der Geschichte der Domestikation auch um die scheinbar einfache, aber bislang unbeantwortete Frage, wie viele Gene einer Wildpflanze überhaupt betroffen sind. Neuen Erkenntnissen zufolge wurde ihre Zahl bislang unterschätzt. Man konzentrierte sich lange auf wenige markante Gene und übersah dabei jene, die im Hintergrund leise mitgewirkt hatten. Dabei war ihr Einfluss vermutlich größer als gedacht. Er erklärt z. B., warum sich für Kulturpflanzen wichtige Merkmale trotz sich langsam, aber stetig verbessernden Auswahl- und Anbaumethoden über Jahrtausende sehr variabel zeigten.
Ein Beispiel ist die Gestalt der Ähren bei Mais. Vergleicht man den zugrunde liegenden Genotyp von Mais mit dem der Teosinte, seinem Vorfahren, springen zunächst einmal vier oder fünf Genloci ins Auge, die einen großen Einfluss auf dieses Merkmal haben. Schaut man dann aber etwas genauer hin, sozusagen auf das genetische Netzwerk dahinter, werden plötzlich weitere Gene und genetische Elemente sichtbar, die mit deren Aktivität in Verbindung stehen und sie beeinflussen. Schnell können so aus einer Handvoll Gene mehrere Hundert werden.
Werden bald neue Wildpflanzen domestiziert?
Geht es nun darum, die Domestizierung rückblickend einfach besser zu verstehen oder um mehr? Könnte man das Wissen nicht auch nutzen, um neue Pflanzenarten zu kultivieren? Schließlich könnten sie die Diversität auf dem Acker erhöhen, einen nachhaltigen Anbau durch eine höhere Standortanpassung fördern oder bei der Erschließung neuer Anbauregionen helfen. Die Idee klingt verlockend, ist aber schwierig umzusetzen.
Es beginnt mit der Suche nach einem geeigneten Versuchsdesign und geeigneten Wildpflanzenarten. Auch fehlen noch Experimente, in denen man die Domestizierung heutiger Nutzpflanzen wie Weizen nachgestellt hat. Hoffnungen werden dabei in die Genom-Editierung gesetzt. Der Grundgedanke ist, mit gezielten Mutationen bei Wildpflanzen die Domestizierung zu beschleunigen. Als erste Anlaufstelle könnten dabei Gene dienen, die bei der Domestizierung heutiger Nutzpflanzen eine Rolle gespielt haben. Vorausgesetzt natürlich, dass Verwandte dieser sogenannten Domestizierungs-Gene auch in den Wildpflanzen vorhanden sind. Wie könnte das in der Praxis aussehen?
Ein Merkmal, das schon immer für die Ernte eine große Rolle gespielt hat, ist die Festigkeit der Ähre bei Getreide. Je fester sie die Körner umschließt, desto geringer ist die Gefahr, dass diese vorzeitig auf den Boden fallen und verloren gehen. Bei Mais, Sorghum und Reis spielte jeweils das Sh1-Gen eine große Rolle. Im Zuge der Domestikation und Auslese setzten sich Pflanzen mit einer höheren Ährenfestigkeit durch, die die entsprechende Genvariante von Sh1 trugen.
Würde man nun theoretisch versuchen, eine weitere Wildpflanzenart aus der Familie der Süßgräser (Poaceae) zu domestizieren (zu der auch die Getreide gehören), könnte man gleich nach verwandten Sequenzen von Sh1 suchen und diese entsprechend modifizieren.
Domestizierung im 21. Jahrhundert
Grundsätzlich steht einer De novo Domestikation nichts im Wege. Eine schnelle Lösung für die drängenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in der Landwirtschaft bietet sie aber eher weniger. Langfristig sieht es wiederum anders aus. Für die Arbeit an bestehenden Nutzpflanzen ist das Wissen um die Hintergründe der Domestizierung aber dennoch wertvoll. Allein deshalb, weil die Domestizierung streng genommen bei keiner Nutzpflanze abgeschlossen ist. Sie ist ein Prozess ohne definiertes Ende, da sich Umweltbedingungen und Anforderungen der Menschen laufend ändern.
Quelle:
Stetter, M. et al. (2017): How to make a domesticate. In: Current Biology, Vol. 27, (11. September 2017), doi: 10.1016/j.cub.2017.06.048.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Die Frucht einer außergewöhnlichen Reise
- Neue Pflanzen braucht die Welt
- Plantainment: Wilde Verwandte – Von der Wild- zur Nutzpflanze
Titelbild: Der heutige Weizen ging aus der Kreuzung verschiedener Getreide- und Wildgrasarten hervor. (Bildquelle: © Hans/Pixabay.com/CC0)