Zuchtwertschätzung soll zuverlässig werden
Agronomisch wertvolle Eigenschaften werden selten von nur einem Gen bestimmt. Außerdem können Pflanzen gleichzeitig gute und schlechte Eigenschaften in sich tragen. Das Projekt GABI-GAIN will deshalb Werkzeuge liefern, um Pflanzen nach ihrem züchterischen Gesamtwert zu selektieren.
Jahrzehntelang waren Pflanzenzüchter auf den Ertrag und die äußeren Merkmale der Pflanzen angewiesen, um zu entscheiden, welche die besten Kreuzungspartner für die weitere Züchtung sein könnten. Seit das Verständnis genetischer Zusammenhänge immer weiter voran schreitet, verdrängt die Genbasierte Selektion zunehmend diese Auswahl allein nach Phänotypen. Das setzt jedoch voraus, dass Pflanzenforscher aufklären, welche genetischen Merkmale für welche phänotypischen Eigenschaften der Pflanze verantwortlich sind.
Eine wesentliche Schwierigkeit dabei bilden die enormen Datenmengen, die aus jedem einzelnen Feldversuch entstehen. Phänotypische und genetische Eigenschaften der Pflanzen müssen systematisch in geeigneten Datenbanken zusammengeführt werden. Dazu muss es Computerprogramme geben, die diese Datenbestände entsprechend der jeweiligen Fragestellung auswerten können. Beides entwickelt das Projekt GABI-GAIN.
Vier akademische Partner und zwölf Pflanzenzuchtunternehmen haben sich darin zusammengeschlossen. Aufbauen können sie dabei auf das Projekt GABI-BRAIN. Bereits damals entwickelten die Forscher eine Software, um anhand von phänotypischen Daten den genetischen Wert einer Pflanze abzuschätzen. Orientiert haben sich die Wissenschaftler an der so genannten BLUP-Schätzung, einem in der Tierzucht verbreiteten, in der Pflanzenzucht jedoch bisher kaum genutzten statistischen Verfahren. Besonders an diesem Verfahren ist, dass es gut mit unbalancierten Datensätzen umgehen dann. Denn anders als in der Forschung, wo meist alle Nachkommen einer Generation weiter untersucht werden, wollen Züchter möglichst früh selektieren. Dies führt dazu, dass die Zahl der Nachkommen pro Kreuzung sowie die Zahl der Prüfumwelten je Genotyp zum Teil stark variieren können.
GABI-GAIN will dieses Verfahren präzisieren und zusätzlich die Feldbedingungen berücksichtigen. Auf welcher Bodenart stand die jeweilige Pflanze? Wie groß war die Hangneigung? Indem die Forscher diese Uneinheitlichkeit im Modell abbilden, erhoffen sie sich, genetische Faktoren und Umwelteinflüsse besser trennen zu können. Schließlich soll allein auf den Genotyp selektiert werden. Das ist nicht einfach, denn während sich im Forschungsprojekt das Feld als Blindversuch mit genetisch identischen Pflanzen „kalibrieren“ lässt, wachsen in den Feldversuchen der Züchter unterschiedliche Genotypen. Auch hier muss ein statistisches Modell her, das Rückschlüsse erlaubt, wie die Gegebenheiten auf dem Feld die Pflanze beeinflussen.
Und auf noch eine weitere Art soll das neue Modell präziser werden als der Vorgänger: Datenbank und Software berücksichtigen nicht nur die Daten der einzelnen Pflanze, sondern erstellen auch Bezüge zur Elterngenerationen.
Weil die effektive Nutzbarkeit der Daten für alle weiteren Analysen die Grundlage ist, sind bei GABI-GAIN gleich zwei der sechs Projektbereiche mit der Datenbank beschäftigt. Sie haben ein geeignetes Datenbanksystem entwickelt und führen darin die von den Industriepartnern gelieferten Daten zu Feldplänen, Stammbaum, genetischen Markern und Phänotyp zusammen. Zusätzlich arbeiten die Bioinformatiker daran, Visualisierungen für die Datenabfragen zu erstellen.
Der dritte Projektbereich entwickelt die Software, um die gesammelten phänotypischen und genetischen Daten zu analysieren. Anhand der eigenen Blindversuche und zahlreicher Feldversuche testen die Forscher, welches geostatistische Modell am besten geeignet ist, um die Feldbeschaffenheit aus der Bewertung der Pflanzen herauszurechnen.
Im vierten Teilbereich von GABI-GAIN geht es darum, den Züchtern Prognosewerkzeuge an die Hand zu geben. Gestützt auf die Datenbank und deren Auswertung soll es Züchtern möglich werden, Standorte und die Anzahl Wiederholungen eines Anbaus bestmöglich zu planen und zu optimieren. Schon jetzt existiert ein Modul, das bei gegebenem Ort und fester Anzahl Wiederholungen den Zuchterfolg prognostiziert.
Die letzten beiden Projektbereiche befassen sich damit, Pflanzeneigenschaften mit den jeweiligen Genen in Verbindung zu bringen. Die Frage ist, wie sich Marker optimal nutzen lassen, um so genannte QTL zu kartieren, jene Chromosomabschnitte, die für ein quantitatives Merkmal verantwortlich sind. Wie viele Kreuzungen und Kreuzungspartner sind ideal? Wie ist im Zuchtgang die Kartierung der QTL und die markergestützte Auslese der QTL bestmöglich zu integrieren? Anhand der Datenbestände der beteiligten Züchter wollen die Forscher diese Fragen klären.
Neben der QTL-Kartierung verfolgen sie allerdings noch einen zweiten Ansatz, die Assoziationskartierung. Anstelle von Kreuzungen betrachten die Forscher hierbei Populationen aus Genbanken und laufenden Züchtungsprogrammen, die sich in quantitativen Merkmalen unterscheiden, und suchen nach deren genetischen Gemeinsamkeiten. Im Blick haben sie jedoch nicht direkt ganze Gene, sondern so genannte SNPs, Punktmutationen, die fester Bestandteil des Genpools geworden sind und die möglichst nah an die interessanten Gene (QTL) gekoppelt sein müssen. Das besondere Interesse der Forscher gilt dem Zusammenwirken mehrerer Gene bei der Ausbildung wichtiger Merkmale (Epistasie).
Der verfolgte Ansatz hat den Vorteil, dass er sehr gut bei Merkmalen funktioniert, die auf mehrere Gene zurückgehen. Gleichzeitig ermöglicht er, dass Züchter eine Pflanze in ihrem genetischen Potenzial einschätzen können; wohlgemerkt nur auf der Grundlage der Statistik. Diese so zuverlässig wie möglich zu gestalten, ist deshalb ein wesentliches Anliegen von GABI-GAIN.
Am Ende des Projekts sollen eigene Datenbank- und Softwarelösungen stehen, die all das leisten, aber auch Gebrauchsanleitungen, wie manche dieser Aufgaben mit etablierten Programmen erledigt werden können. Schon jetzt organisieren die Bioinformatiker Workshops für die beteiligten Züchter, um die Lösungen vor- und deren Praxistauglichkeit sicherzustellen.
Eine Software, die tatsächlich eine Genom-weite Bewertung der jeweiligen Pflanze vornehmen kann, wäre die logische Fortsetzung für ein Folgeprojekt. Denn so erfolgreich die auf einzelne Gene abzielende Marker gestützte Selektion momentan als Methode ist, so aufwändig wäre es auch, mit ihr der Komplexität der pflanzlichen Eigenschaften umfassend gerecht zu werden. Statistische Genom-weite Zuchtwertschätzungen, die möglichst viele Gene gleichzeitig im Blick haben, dürften sich deshalb langfristig als praktikabler herausstellen und könnten zum Goldstandard der Selektionsverfahren werden.
Anregungen zum Weiterlesen:
- Ein Interview mit dem stellvertretenden Projektleiter des GAIN-Projektes finden Sie hier: Moderne Bioinformatik für die erfolgreiche Pflanzenzucht
- Weiterführende Informationen zum Projekt finen Sie hier: GABI-GAIN