„Meine Forschung hilft, den Regenwald zu schützen“

Interview mit Kai-Uwe Roelfs

04.04.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Durch seine Forschung trägt Kai-Uwe Roelfs dazu bei, einen besonderen Löwenzahn als nachhaltige Quelle für Naturkautschuk zu etablieren. (Bildquelle: ©Kai-Uwe Roelfs)

Durch seine Forschung trägt Kai-Uwe Roelfs dazu bei, einen besonderen Löwenzahn als nachhaltige Quelle für Naturkautschuk zu etablieren. (Bildquelle: ©Kai-Uwe Roelfs)

Naturkautschuk ist ein begehrter Rohstoff, doch für Kautschukbäume werden tropische Regenwälder gerodet. Der Doktorand Kai-Uwe Roelfs forscht im Projekt TARULIN an einer überraschenden und nachhaltigen Alternative: Kautschuk aus Löwenzahn.

Mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie arbeitet Kai-Uwe Roelfs daran, die Wildform eines besonderen Löwenzahns als Nutzpflanze zu entwickeln, von den Grundlagen über die Züchtung bis zur Anwendung. Der Doktorand am Fraunhofer IME erläutert im Interview, welche Meilensteine schon erreicht wurden und was die anwendungsnahe Forschung für ihn bedeutet.

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Löwenzahn der Art Taraxacum koksaghyz enthält große Mengen eines begehrten Rohstoffs: Naturkautschuk.

Löwenzahn der Art Taraxacum koksaghyz enthält große Mengen eines begehrten Rohstoffs: Naturkautschuk.

Bildquelle: © Ansgar Pudenz / Deutscher Zukunftspreis

Pflanzenforschung.de: Wir kennen ihn als Pusteblume, doch in Löwenzahn steckt offenbar mehr. Herr Roelfs, was hat sich das Projekt TARULIN zum Ziel gesetzt?

Kai-Uwe Roelfs: Der Löwenzahn, an dem ich forsche, stammt ursprünglich aus Kasachstan. Sein Artname ist Taraxacum koksaghyz und „Koksaghyz“ heißt so viel wie „Wurzelgummi“. Und genau darum geht es: Dieser Löwenzahn bildet große Mengen Naturkautschuk in seinen Wurzeln, genauer gesagt im Milchsaft. Daraus kann man unter anderem Gummi herstellen. Jeder hat sicherlich schon einmal als Kind einen heimischen Löwenzahn gepflückt und dabei auch den weißen Saft bemerkt. Der heimische Löwenzahn, Taraxacum officinale, enthält aber wenig bis gar keinen Kautschuk. Wir möchten daher in unserem Projekt den Kautschuk-Löwenzahn als nachhaltige Quelle für den Naturstoff nutzbar machen.

Pflanzenforschung.de: Kautschuk wird heute hauptsächlich aus dem Kautschukbaum gewonnen. Wieso suchen Sie nach Alternativen?

Kai-Uwe Roelfs: Es geht vor allem darum, die Kautschuk-Produktion nachhaltiger zu gestalten. Der Kautschukbaum, Hevea brasiliensis, kommt nur in den tropischen Regionen Südostasiens und in Teilen Afrikas vor. Für den Anbau muss immer mehr tropischer Regenwald weichen, da die Nachfrage an Naturkautschuk immer weiter steigt. Zusätzlich ist der Kautschukbaum sehr anfällig gegenüber Krankheiten, beispielsweise Blattfallkrankheit und Wurzelweißfäule, und braucht bis zu zehn Jahre, um erntereif zu sein.

Pflanzenforschung.de: Und da kommt der Löwenzahn in Spiel …

Kai-Uwe Roelfs: Richtig. Der Löwenzahn hat enormes Potenzial. Er kann bereits innerhalb eines Jahres nach der Aussaat geerntet werden, wächst auch in unserer Klimazone und ist relativ anspruchslos. Das heißt, er braucht keine besondere Bodenqualität und Düngung und hat eine außerordentliche Widerstandskraft gegenüber Krankheiten. 

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Plantage des Kautschukbaums Hevea brasiliensis.

Plantage des Kautschukbaums Hevea brasiliensis.

Bildquelle: © Manfred Mielke, USDA Forest Service/ Bugwood.org, CC-BY 3.0

Pflanzenforschung.de: Das hört sich doch sehr gut an. Warum gibt es da noch Forschungsbedarf?

Kai-Uwe Roelfs:  Eine Wildpflanze wie unser Löwenzahn kann nicht einfach mal so von Landwirten angebaut werden. Man muss erst eine echte Nutzpflanze aus ihm machen – durch Züchtung. Damit haben wir begonnen und das hat viele Facetten.

Pflanzenforschung.de: Zum Beispiel? 

Kai-Uwe Roelfs: Ich beschäftige mich im Rahmen meiner Doktorarbeit vor allem mit dem Blühverhalten des Löwenzahns. Das Blühen ist ein entscheidender Schritt im Lebenszyklus einer Pflanze, da durch die Bestäubung der Blüte die Produktion von Samen ausgelöst wird.

Kautschuk-Löwenzahn benötigt jedoch einen Kältereiz, um effektiv Blütenstände bilden zu können. Dieser Vorgang wird unter anderem durch mehrere epigenetische Mechanismen gesteuert. Das sind natürlich vorkommende Veränderungen am Erbgut, die die Basenfolge der DNA nicht ändern, aber die bestimmte Gene aktivieren oder deaktivieren. So veranlassen sie nach und nach die Bildung einer Blüte. Dieses Zusammenspiel ist zumindest im Löwenzahn noch weitgehend unverstanden.

Aus diesem Grund erforschen wir das Blühverhalten des Löwenzahns, um herauszufinden, welche Gene dabei eine Rolle spielen und wie sich der Kältereiz auf epigenetischer Ebene auf diese auswirkt. Dadurch hoffen wir Varianten züchten zu können, die stabil keinen Kältereiz mehr benötigen. Dies würde es uns ermöglichen, nicht nur im Frühjahr, sondern aufgrund der dann verkürzten Generationszeit mehrmals im Jahr Saatgut ernten zu können, was die Saatgutproduktion deutlich steigern würde. Zusätzlich dazu könnte die Aufklärung auch modellhaft für andere Pflanzen aus der Gruppe der Korbblütler stehen und somit zum Beispiel auf Salat oder Chicorée übertragen werden.

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Das Blühverhalten zu verstehen ist eine wichtige Grundlage zur Nutzbarmachung des Kautschuk-Löwenzahns.

Das Blühverhalten zu verstehen ist eine wichtige Grundlage zur Nutzbarmachung des Kautschuk-Löwenzahns.

Bildquelle: © links: Kai-Uwe Roelfs; rechts: Ansgar Pudenz / Deutscher Zukunftspreis

Pflanzenforschung.de: Aus einer Wildpflanze eine Kulturart zu machen ist sicherlich herausfordernd.  

Kai-Uwe Roelfs: Richtig. Auch weil wir schnell gemerkt haben, dass sich das vorhandene genetische Wissen über Modellpflanzen wie der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana nicht direkt auf Löwenzahn anwenden lässt. Daher haben wir erst einmal das Genom des Löwenzahns entschlüsselt und so die Grundlage für weiterführende Analysen gelegt.

So konnten wir bereits einige Gene identifizieren, die mutmaßlich für die Blütenentwicklung relevant sind. Diese werden zurzeit in weiteren Experimenten untersucht, um ihre Funktion aufzuklären und zu erfahren, ob sie tatsächlich dabei eine Rolle spielen. Das Schwierige hierbei ist, dass man viele Kandidaten-Gene erhält und entscheiden muss, mit welchen man sich weiter beschäftigt, da die zeitlichen und finanziellen Ressourcen wie immer begrenzt sind.

Pflanzenforschung.de: Was sind weitere Knackpunkte, um aus Löwenzahn eine Kulturpflanze zu züchten?

Neben einem verbesserten Verständnis der Blühinduktion konnten unsere Projektpartner die Saatgutproduktion optimieren. Das ist ein wichtiger Schritt hin zur Kulturpflanze. Wir haben nun auch Werkzeuge, die Pflanzen epigenetisch zu verändern, um das Epigenom des Kautschuk-Löwenzahns zu untersuchen. Dies ermöglicht uns, den Effekt von Umwelteinflüssen wie langanhaltender Hitze oder großer Nässe, gerade auch im Rahmen des Klimawandels, auf die Pflanze zu untersuchen. Hinzu kommen natürlich auch die Etablierung von Resistenzen gegenüber verschiedenster Krankheitserreger sowie die Erhöhung der Biomasse – und damit den Ertrag an Kautschuk.

Darüber hinaus führe ich auch viele bioinformatische Analysen von Datensätzen innerhalb unserer Arbeitsgruppe durch. So entstanden schon einige kollaborative Publikationen in internationalen Fachzeitschriften. Zum Beispiel konnten wir mehrere, teilweise unbekannte Latex-spezifische Proteine identifizieren, die möglicherweise eine Rolle bei der Kautschukproduktion spielen. Außerdem sind wir dem Mechanismus auf der Spur, warum Kautschuk-Löwenzahn nicht selbst-kompatibel ist, er sich also nicht selbst befruchten kann. Die Selbstinkompatibilität der Pflanze führt dazu, dass das Erbmaterial sehr heterogen bleibt, was die Züchtung von Nachkommen mit stabilen Merkmalen erschwert.

Aus unserem Löwenzahn eine Kulturart zu züchten, die von Aussaat bis zur Kautschukextraktion allen Anforderungen gerecht wird, bleibt eine spannende Aufgabe. Aber Züchtung hört ja bekanntlich nie auf, auch nicht bei anderen Kulturpflanzen wie Weizen, Mais oder Zuckerrübe, die schon lange angebaut werden.

Pflanzenforschung.de: Wie wird die Idee in der Industrie aufgegriffen?

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Es gibt bereits Fahrradreifen aus Löwenzahn-Kautschuk.

Es gibt bereits Fahrradreifen aus Löwenzahn-Kautschuk.

Bildquelle: © Ansgar Pudenz / Deutscher Zukunftspreis

Kai-Uwe Roelfs: Die weltweite Nachfrage nach Naturkautschuk steigt jährlich. Die Anfragen aus der Industrie an Naturkautschuk und Latex aus Löwenzahn lassen nicht nach, nein sie werden sogar immer häufiger. Einer der größten Verarbeiter von Naturkautschuk hierzulande, die Firma Continental Reifen Deutschland GmbH, will Löwenzahn als alternative Quelle für Naturkautschuk nutzbar machen. Sie haben dazu in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern sogar eigens eine Forschungsanlage errichtet. Viele weitere Projektpartner sind dabei involviert, um die gesamte Wertschöpfungskette zu etablieren. Erste Autoreifen-Prototypen wurden bereits entwickelt und getestet. Der Kautschuk aus Löwenzahn, so hat sich herausgestellt, ist marktfähig. Man kann bereits Fahrradreifen aus Löwenzahnkautschuk als Serienprodukt käuflich erwerben. Dadurch sind auch schon einige neue Arbeitsplätze in der Industrie entstanden.

Pflanzenforschung.de: In Ihrem Projekt kollaborieren mehrere Teams von Hochschulen, Forschungsinstituten und Firmen. Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit?  

Kai-Uwe Roelfs: Jedes Team hat entsprechend seiner Expertise bestimmte Aufgaben: von der Erforschung der Pflanze über die Züchtung und Entwicklung von Anbau- und Erntemethoden bis hin zur Extraktion des Naturkautschuks aus den Wurzeln. Dabei stehen wir alle im regelmäßigen Kontakt. Die Meetings finden entweder an den jeweiligen Standorten statt, um sich vor Ort die Arbeit und Fortschritte anzuschauen, oder auch online, um sich auszutauschen und weitere Strategien zu besprechen. Am Anfang meiner Arbeit wurde ich sofort ins Team integriert und war begeistert, wie alle miteinander umgehen und am Thema arbeiten. Ich habe dadurch viele Dinge jenseits meines Themas gelernt, die ich sonst nicht mitbekommen hätte.

Pflanzenforschung.de: Für wie wichtig halten Sie es, dass Nachwuchswissenschaftler:innen Einblicke in die Wirtschaft bekommen? 

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Der Pflanzenforscher und Bioinformatiker Kai-Uwe Roelfs möchte mit seiner Arbeit einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten.

Der Pflanzenforscher und Bioinformatiker Kai-Uwe Roelfs möchte mit seiner Arbeit einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten.

Bildquelle: © Kai-Uwe Roelfs

Kai-Uwe Roelfs: Sehr wichtig. Wissenschaft und Industrie haben doch sehr unterschiedliche Arbeitsweisen und Anforderungen. Hier reinzukommen und zu lernen ist eine sehr gute Schule für den weiteren Karriereweg. Denn die Industrie arbeitet oft sehr eng mit der Forschung zusammen, entweder in hauseigenen Abteilungen oder, wie in unserem Fall, durch externe Partner. Die Forschung liefert dabei die Grundlage für die Entwicklung neuer Produkte wie Medikamente und Naturstoffe oder Herstellungsmethoden. So weiß man als Forschender auch immer genau, wofür die eigene Arbeit wichtig ist. Ich zum Beispiel weiß, dass ich durch meine Arbeit einen Beitrag dazu leiste, in Zukunft den Regenwald besser zu schützen und damit vielleicht auch einen positiven Einfluss auf das Weltklima auszuüben. Zu wissen, wofür ich diese Forschung betreibe, spornt mich sehr an.

Pflanzenforschung.de: Die PLANT 2030 ACADEMY hat unter anderem das Ziel, jungen Pflanzenforschenden Einblicke in verschiedene Karrierewege zu geben. Sie haben an mehreren Aktivitäten teilgenommen. Welche haben Sie besonders weitergebracht?

Kai-Uwe Roelfs: Sehr interessant fand ich den Besuch eines großen Pflanzenzuchtunternehmens. Dadurch habe ich eine Idee bekommen, wie die verschiedenen Abteilungen zusammenarbeiten, sowohl in der Qualitätssicherung als auch bei der Erweiterung der Produktpalette. Etwa neue Züchtungen mit einer höheren Widerstandskraft gegen Stressfaktoren. Weiterhin fand ich die Kombination von Fisch- und Pflanzenzucht, also Aquaponik, bei der ECF Farm in Berlin sehr spannend. Der Austausch mit anderen Promovierenden bei den verschiedenen Aktivitäten der ACADEMY war ebenfalls sehr wertvoll, um Probleme oder Ideen zu besprechen und sich miteinander auszutauschen.

Pflanzenforschung.de: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihre Vorhaben!​​​​​


Im Interview verlinkte Publikationen:

  • Benninghaus, V. A. et al. (2020): Comparative proteome and metabolome analyses of latex-exuding and non-exuding Taraxacum koksaghyz roots provide insights into laticifer biology. In: Journal of Experimental Botany 71 (4), 1278–1293 (7 February 2020), doi.org/10.1093/jxb/erz512
  • Wollenweber, T.E. et al. (2021): Microscopic and Transcriptomic Analysis of Pollination Processes in Self-Incompatible Taraxacum koksaghyz. In: Plants 10 (3), 555 (16. März 2021), doi.org/10.3390/plants10030555

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Titelbild: Durch seine Forschung trägt Kai-Uwe Roelfs dazu bei, einen besonderen Löwenzahn als nachhaltige Quelle für Naturkautschuk zu etablieren. (Bildquelle: © Kai-Uwe Roelfs)