Die Komplexität der Pflanzen fasziniert mich

Interview mit Hanna Schilbert

08.04.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Dr. Hanna Schilbert forscht an Raps als nachhaltige Proteinquelle für die menschliche Ernährung. (Bildquelle: © Tamara Worzewski / PLANT 2030)

Dr. Hanna Schilbert forscht an Raps als nachhaltige Proteinquelle für die menschliche Ernährung. (Bildquelle: © Tamara Worzewski / PLANT 2030)

Pflanzen können nicht weglaufen. Sie schützen sich daher mit einem Arsenal an Inhaltsstoffen vor Fressfeinden und Infektionen. Leider sind manche Stoffe auch für Menschen unbekömmlich oder zumindest geschmacklich eine Zumutung. Dr. Hanna Schilbert kämpfte sich durch den Dschungel an Pflanzenstoffen und ist dabei einem unangenehmen Bitterstoff auf die Spur gekommen.  

Ihr Ziel: Den aus Rapssamen gewonnenen Proteinen die Bitterkeit zu nehmen und so für die menschliche Ernährung nutzbar zu machen. Im Interview erläutert die Forscherin am CeBiTec der Uni Bielefeld, wie durchdachtes Vorgehen und gegenseitige Unterstützung ihr dabei helfen, und verrät ihr Geheimnis für erfolgreiche Publikationen.

#####1#####
Rapssamen enthalten hochwertiges Öl und Protein.

Rapssamen enthalten hochwertiges Öl und Protein.

Bildquelle: © Charles Robertson CC-BY 2.0

Pflanzenforschung.de: Frau Schilbert, warum nutzen wir die in Rapssamen reichlich vorhandenen Proteine nicht direkt zur Herstellung von Lebensmitteln?

Hanna Schilbert: An der Proteinqualität liegt es nicht. Die Rapssamen enthalten neben Öl viele hochwertige Proteine, die unser Körper sehr gut aufnehmen kann. Doch die aus den Samen gewonnenen Proteinextrakte schmecken nicht. Daran sind Bitterstoffe schuld. Ich hoffe, das wird sich dank unserer Forschung bald ändern. Denn weltweit steigt der Bedarf nach Proteinen, und pflanzliche Proteinquellen werden für unsere Versorgung immer wichtiger.

Pflanzenforschung.de: Kennen Sie schon die verantwortlichen Bitterstoffe?

Ja, hauptsächlich sorgt ein bestimmter Bitterstoff für den unangenehmen Geschmack: Kaempferol-3-O-Sinapoyl-Sophorosid oder kurz K3OSS. Dieser wurde im Laufe unseres Projekts RaPEQ von unseren Partnern an der TU München identifiziert. Dass vor allem dieser eine Stoff Rapsproteinisolate bitter schmecken lässt, ist sehr ungewöhnlich und für uns ein sehr glücklicher Befund. Das Wissen kann nun genutzt werden, um gezielt neue Rapssorten zu züchten, die keinen oder nur noch wenig Bitterstoff im Samen enthalten. Das wäre sozusagen ein schmackhafter Raps.

Pflanzenforschung.de: Mit welcher Strategie lässt sich der schmackhafte Raps züchten?

Hanna Schilbert: Meine Forschung setzt bei der Frage an: „Wie wird K3OSS im Samen hergestellt?“. Ich möchte also zuerst den Biosyntheseweg von K3OSS in Raps entschlüsseln. Hierfür suche ich nach Rapsgenen, die eine hohe Ähnlichkeit mit bereits bekannten Genen der K3OSS-Biosynthese in anderen Arten aufweisen. Das sind dann meine Kandidatengene, die auch im Raps an der Bildung des Bitterstoffs beteiligt sein könnten. Danach überprüfe ich, ob diese im Samen aktiv sind und stelle die Funktion dieser Kandidatengene fest.

#####2#####
Die Forscherin Hanna Schilbert möchte den Bitterstoff K3OSS aus Rapssamen entfernen, damit auch Rapsproteine für die menschliche Ernährung genutzt werden können.  

Die Forscherin Hanna Schilbert möchte den Bitterstoff K3OSS aus Rapssamen entfernen, damit auch Rapsproteine für die menschliche Ernährung genutzt werden können.  

Bildquelle: © Andrea Voigt

Anschließend suche ich nach Rapspflanzen mit defekter K3OSS-Biosynthese. Manche Pflanzen tragen Veränderungen im Erbgut, zufällige Mutationen, auch solche die die Gene zur Produktion des Bitterstoffs beinträchtigen. Wenn diese Mutationen den Biosyntheseweg zum K3OSS unterbrechen, sollten diese Pflanzen dann wenig oder gar kein K3OSS im Samen haben.

Um Rapspflanzen mit diesen Veränderungen zu finden, isoliere ich erst das Erbgut vieler verschiedener Rapslinien und schaue mir dann mithilfe spezifischer Sonden exakt den Genabschnitt an, der die Mutation enthalten soll. Zur Auswertung verwende ich verschiedene bioinformatische Programme und selbstgeschriebene Skripte.

Pflanzenforschung.de: Worin liegt dabei die größte Herausforderung?

Hanna Schilbert: Eine zentrale Herausforderung ist der effiziente Umgang mit großen Sequenzdatensätzen. Es mussten bioinformatische Skripte geschrieben werden, die in der Lage sind, große Datenmengen in kurzer Zeit zu analysieren. Außerdem werden viele Rechenressourcen benötigt, um diese Analysen durchzuführen. Dafür habe ich in der Vergangenheit schon öfters nach „mehr“ gefragt, wie zum Beispiel nach mehr Speicherplatz. Zum Glück hatten wir bisher am CeBiTec noch nie Probleme, was die Erweiterung der Rechenressourcen für dieses Projekt angeht.

Pflanzenforschung.de: Welche Erfolge konnten Sie schon verbuchen?

Hanna Schilbert: Wir haben zwei Schlüsselenzyme identifiziert, die für die Herstellung des Kaempferol-Grundgerüstes von K3OSS in Raps wichtig sind: die Flavonol Synthase 1-1 und die Flavonol Synthase 1-2. Mit unseren Projektpartnern von der NPZi haben wir dann Rapspflanzen gefunden, die Mutationen in einem oder beiden dieser Schlüsselgene tragen. In den Samen der Doppelmutante konnte tatsächlich kein K3OSS mehr nachgewiesen werden. Somit haben wir das Ziel, den Hauptbitterstoff K3OSS aus Rapssamen zu entfernen, schon erreicht. Ein Geschmackstest steht allerdings noch aus, da hierfür eine größere Menge an Samen benötigt wird.

#####3#####
Das Forschungsteam konnte zwei Enzyme identifizieren, die die Produktion des Bitterstoffs K3OSS essenziell sind. Hier gezeigt ist die Struktur der Flavonol Synthase 1-1.

Das Forschungsteam konnte zwei Enzyme identifizieren, die die Produktion des Bitterstoffs K3OSS essenziell sind. Hier gezeigt ist die Struktur der Flavonol Synthase 1-1.

Bildquelle: © Schilbert et al. 2021, CC-BY 4.0

Pflanzenforschung.de: Sie konnten Ihre Ergebnisse bereits in renommierten Fach-Journalen publizieren – ein Traum für viele Promovierende. Was ist Ihr Geheimnis dabei?

 Hanna Schilbert: (lacht) Ich denke, eine Kombination aus Ausdauer, Leidenschaft für die Forschung und gutem Zeitmanagement. Insbesondere am Anfang meiner Promotion war auch der Austausch mit erfahrenen Doktoranden und PostDocs sehr hilfreich. Bei einer Tasse Tee lässt sich so schnell auch in den Pausen geballte Fachexpertise sammeln.

Zudem hinterfrage ich gern meine Arbeitsabläufe schaue, wie es noch besser gehen kann. Ich glaube, so konnte ich Zeit gewinnen und die habe ich zum Schreiben genutzt. Außerdem hilft eine enge Zusammenarbeit im Team. Publikationen sind ja meist Gemeinschaftswerke und wenn alle an einem Strang ziehen, geht alles viel schneller.

Pflanzenforschung.de: Und welche Fähigkeiten helfen Ihnen bei Ihrer Forschung?

Hanna Schilbert: Neue Projekte beginnen bei mir oft mit bioinformatischen Analysen, die im Laufe des Projekts durch Laborarbeit ergänzt werden. An reinen Bioinformatik-Tagen schreibe und überarbeite ich Skripte, behebe Fehler und führe Testläufe durch. Dies erfordert Frustrationstoleranz und Geduld, da ein neues Skript selten sofort perfekt läuft und Fehlermeldungen eher die Regel als die Ausnahme sind. Oft muss ich auch Formate verschiedenster Dateien anpassen. Dies ist wichtig, um den reibungslosen Ablauf eines Programms und einiger Skripte zu gewährleisten. Dies kann sehr zeitaufwändig sein und erfordert daher viel Ausdauer.

Pflanzenforschung.de: Zwischenzeitlich sind Sie auch in den medizinischen Bereich gewechselt. Wie kam es dazu?

Hanna Schilbert: Ich finde, ein Perspektivwechsel ist auch mal wichtig. Außerdem wollte ich wissen, ob mich medizinische Forschung unter Umständen mehr reizt als Pflanzenforschung. Dann kam die Gelegenheit: ein halbes Jahr in Cambridge. Der Kontakt zu einer Forschungsgruppe dort hat mir ein Professor der Uni Bielefeld vermittelt und ich bekam eine Förderung durch Erasmus+. An Cambridge reizten mich auch die inspirierende akademische Atmosphäre und erstklassige Forschungseinrichtungen. Bei meiner Arbeit ging es um die Funktionsaufklärung eines bestimmten Enzyms bei stoffwechselbedingten Störungen, wie beispielweise Fettleibigkeit.

Pflanzenforschung.de: Welche generellen Unterschiede sehen Sie in der Arbeit im medizinischen Bereich und der Pflanzenforschung?

#####4#####
Die Vielfalt und Komplexität der Pflanzen reizt Hanna Schilbert; hier im Samenlager mit einer Probe Rapssaat in der Hand.

Die Vielfalt und Komplexität der Pflanzen reizt Hanna Schilbert; hier im Samenlager mit einer Probe Rapssaat in der Hand.

Bildquelle: © Andrea Voigt

Hanna Schilbert: In der medizinischen Forschung sind Arbeiten mit Versuchstieren fast die Regel. Das erfordert ganz klar mehr ethische Überlegungen und kann psychisch belastend sein, da man auch mit dem Tod von Versuchstieren umgehen muss.

Aus dem Blickwinkel der Bioinformatik gesehenen: Es gibt mehr hochqualitativ annotierte Genomsequenzen für Tiere. Zudem wurden viele Programme für Genom- und Genotypanalysen basierend auf tierischen Daten entwickelt und getestet. Daher sind für die Pflanzenforschung häufig Parameteranpassungen oder ganz neue Programme für die Analyse von pflanzenbasierten Daten erforderlich.

Pflanzenforschung.de: Sie sind noch einmal für einen Forschungsaufenthalt nach Cambridge zurückgekehrt, diesmal aber im Rahmen Ihrer Rapsforschung. Warum haben Sie sich letztendlich für die Pflanzenforschung entschieden?

Hanna Schilbert: Mich fasziniert immer wieder die Komplexität und Vielfalt der Pflanzenwelt. Insbesondere die enorme Diversität spezialisierter Metabolite, zu denen auch K3OSS gehört, finde ich spannend. Diese Diversität ermöglicht es Pflanzen, sich gezielt gegen verschiedene Umweltfaktoren zu schützen. Es ist daher nicht überraschend, dass Pflanzen die Produktion von spezialisierten Metaboliten streng regulieren. Im Rahmen meines zweiten Aufenthaltes in Cambridge habe ich untersucht, wie die Produktion von K3OSS reguliert wird und wie sich das im Laufe der Evolution entwickelt hat.

Aber es gibt auch eine grundsätzliche Motivation, die mich wieder zu den Pflanzen gebracht hat. Die Pflanzenforschung hilft uns, die Produktivität der Landwirtschaft enorm zu steigern – und das ist unbedingt nötig. Denn es geht darum, möglichst viel auf den vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen zu produzieren und nicht noch mehr Wälder und Wiesen in Ackerland umzuwandeln. Nur so kann es gelingen, genügend Nahrungsmittel für immer mehr Menschen zu erzeugen und gleichzeitig natürliche Lebensräume mit ihrer Artenvielfalt zu bewahren. Auch das Rapsprojekt trägt dazu bei: Die Rapsproteine können bislang nur als Tierfutter verwendet werden. Mit schmackhaftem Raps können wir lokal produzierte pflanzliche Proteine für die menschliche Ernährung nutzen. Das ist ein schöner Beitrag für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Landwirtschaft.

Pflanzenforschung.de: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihre Vorhaben!


Ausgewählte Publikationen von Hanna Schilbert:

  • Pucker B., Reiher F., Schilbert H. M. „ Automatic Identification of Players in the Flavonoid Biosynthesis with Application on the Biomedicinal Plant Croton tiglium.” Plants (27. Aug. 2020). doi: 10.3390/plants9091103

  • Schilbert, H. M. et al. “Characterization of the Brassica napus flavonol synthase gene family reveals bifunctional flavonol synthases.” Frontiers in Plant Science (13. Okt. 2021). doi: 10.1101/2021.06.30.450533

  • Schilbert, H. M. et al. „Mapping-by-Sequencing Reveals Genomic Regions Associated with Seed Quality Parameters in Brassica napus.” Genes (23. Jun. 2022). doi: 10.3390/genes13071131

  • Schilbert, H. M. and Glover, B. J. „Analysis of flavonol regulator evolution in the Brassicaceae reveals MYB12, MYB111 and MYB21 duplications and MYB11 and MYB24 gene loss.” BMC Genomics (19. Aug. 2022). doi: 10.1186/s12864-022-08819-8

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Dr. Hanna Schilbert forscht an Raps als nachhaltige Proteinquelle für die menschliche Ernährung. (Bildquelle: © Tamara Worzewski / PLANT 2030)